Ilse Losa

Worte…frei wie Vögel 

Berühmt in Portugal & noch zu entdecken in Deutschland

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Straßenkreuzung (T-Kreuzung) Ein kleiner Asphaltweg führt zum rechten Bildschirmrand. Die Straßen führen durch Wiesen und Felder. An der kleinen Straße steht ein Straßenschild "Ilse-Losa-Weg"
Ilse-Losa-Weg in Buer bei Osnabrück. © CF

Ilse Losa. Schriftstellerin

* 20. März 1913 in Buer bei Melle † 6. Januar 2006 in Porto (Portugal)

Das schwarz Weiß Fotozeigt Ilse Losa in der Halbtotale. Ilse Losa (76) sitzt im Halbprofil auf einem Gartenstuhl, den Blick in Richtung Kamera gewandt. Der Stuhl steht vor einem Balkongerüst aus Holzstreben. Dahinter sind Einfamilienhäuser und Bäume zu sehen.
Ilse Losa in Buer 1986 © Stadt Melle/ Foto: Doris Horst

Ilse Losa ist Jüdin, Exilantin, Schriftstellerin. Seit 1934 bis zu ihrem Tod im Jahr 2006 lebt sie in der Hafenstadt Porto. Ihre Romane und Kinderbücher verfasst sie auf Portugiesisch. Mit Erfolg. In ihrem Wahlland gehört Ilse Losas Werk zum Schulkanon. In ihrem Herkunftsland dauert es vier Jahrzehnte, bis ihr Erstling O mundo em que vivi (Die Welt in der ich lebte) in einer deutschen Übersetzung vorliegt. 

Im vorderen teil des Bildes, untere Hälfte umläufen Garaganreihen einen Hof. In der oberen Hälfte ist ein Haus mit einem mit Ziegeln gedecktem Dach zu sehen.
Melle-Buer: An Stelle der Garagen stand das Haus der Großeltern Lieblich. Hier verbrachte Ilse Lieblich die erste sechs Jahre © CF

In Melle-Buer bei Osnabrück wird Ilse Lieblich geboren, am 20. März 1913. Sie wächst in einem assimilierten jüdischen Elternhaus auf. Der Vater stirbt früh. Die Tochter bricht die Schule ab und beginnt eine Ausbildung in einem Krankenhaus in Hannover.

In einer roten Ziegelsteinmauer ist eine Haustür aus Holz mit Oberlicht eingelassen.
Melle zwischen Bielefeld und Osnabrück: Original-Eingangstür zum umgebauten Elternhaus © CF

Als die Nazis an die Macht kommen. In einem Brief an eine Freundin nennt Ilse Losa Kanzler Hitler einen Verbrecher. Der Brief wird abgefangen. Nach einem stundenlangen Verhör besorgt sich die 20Jährige eine Schiffspassage und flieht an den Rand Europas, ins faschistische Portugal.

In einem Café in Porto lernt die junge Exilantin den angehenden Architekten Arménio Losa kennen, 1934. Mit der Heirat ein Jahr später erhielt sie nicht nur seinen Namen, sondern auch die portugiesische Staatsbürgerschaft.

1949 erscheint der erste Roman, in dem ihre Kindheitserinnerungen einfließen und der mit der Flucht endet. Weitere Romane und 21 Kinderbücher folgen.

Ihre Texte sezieren den Alltag in Portugal, handeln von Menschen auf der Flucht, von starken Mädchen und Umweltthemen. Für ihr Werk erhält Ilse Losa 1991 das Bundesverdienstkreuz.

Am 6 Januar 2006 stirbt Ilse Losa in Porto. In Portugal ist ihr eine Briefmarke gewidmet, in Buer ein 150 Meter langer Asphalt-Weg zum jüdischen Friedhof.

Grabsteine mit hebräischen Inschriften stehen auf der Wiese vor hohen Bäumen.
Melle-Buer: 46 Gräber überstanden die Schändung in der Zeit des Nationalsozialismus. Mehr als 50 Steine wurden für das Pflastern von Hofräumen benutzt. © CF

In den 1990er Jahren erscheinen die ersten Übersetzungen. Höchste Zeit, ihr Œuvre in Deutschland bekannter zu machen. „Wir träumen, als wären wir aus dem Licht gekommen.“

In Melle graben Irene Below, Barbara Daiber und Angela Kemper nach und nach Mosaiksteine aus und vervollständigen das Bild der Schriftstellerin. Ein Fundstück ist die Passagierliste, die zeigt, wann und mit welchem Dampfer Ilse Lieblich nach Portugal floh. Sie sichten Briefe, kümmern sich um Übersetzungen und suchen Verlage. 

Die drei Forscherinnen gründeten den Initiativkreis frauenOrt Ilse Losa * Melle. Geplant ist ein literarisch-biographischer Weg durch Melle und Buer.

Ehemalige Synagoge in Buer: Als zu wenige zum Beten kamen, wurde das Gebetshaus aufgegeben. Danach zog ein Viehhändler in das Gebetshaus. Heute ist es Geschäft und Wohnung. © CF

Audiostationen stehen an verschiedenen Orten in Melle und Buer, die in Ilse Losas Leben eine Rolle spielten: die Synagoge und das Haus der Großeltern in Buer, das Elternhaus und die Grundschule im benachbarten Melle. Die Ort können erwandert oder erradelt werden. Am jeweiligen Ziel gibt es kleine Preziosen aufs Ohr. So der Plan, den die Initiative im März 2024 umsetzen will. Denn im März 1934 floh Ilse Losa aus Deutschland.

Ein Backsteinhaus steht etwas von er Straße zurückgesetzt. Vor dem Bau wachsen zwei Bäume. Im Giebel ist eine Turmuhr. Auf der Straße steht ein Auto.
Melle: Ilse Losa besuchte die Grundschule in dem Backsteinhaus (1875/76). Ist immer noch eine Schule. © CF

Ich hatte das Glück, die drei Forscherinnen zu treffen. Wir besuchten Ilse Lieblichs Geburtsort Buer und Melle, wo sie zur Schule ging. Wir saßen im Kulturzentrum Wilde Rose, einem verwunschenem Kreativanwesen im Wald, betrachteten Fotos, lasen in Büchern, aßen Köstlichkeiten und tranken Tee. 

Die Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof sind verwittert. Nur ein Stein ist jüngeren Datums. Auf dem Stein steht "Julius Lieblich".
Jüdischer Friedhof in Buer: Julius Lieblich, der Lieblingsonkel von Ilse Losa, überlebte KZ Buchenwald. Er wurde als Letzter hier bestattet. © CF

Gemeinsam mit meiner Frau besuchte ich den kleinen jüdischen Friedhof in Buer, an einem sanften Südosthang am Ende des Ilse-Losa-Weges. 

Katja Ruppenthal steht an der Studiotür im WDR. Vor einem runden Fenster. Neben der Tür an der Wand hängt ein Schild, auf dem mit roten Lettern steht "Ruhe". Katja Ruppenthal trägt ein weißes Hemd und hält die Arme verschränkt vor dem Körper.
Katja Ruppenthal (Sprecherin und Moderatorin) im WDR Funkhaus in Köln © WDR/ Sibylle Anneck

Katja Ruppenthal kleidet die geschriebenen Preziosen kongenial in Stimme.

Isabel Remer blickt frontal in die Kamera. Sie steht am linken Bildrand. Ihr Gesicht ist angeschnitten. Die zwei Drittel zum rechten Bildschirmrand hin zeigen eine Landschaft in Draufsicht. Zu sehen ist eine riesiger See, eingefasst von bewaldeten Hügeln.
Isabel Remer: Auf den Azoren (Portugal) © Jonas Grutzpalk

Isabel Remer übersetzte das gerade erschienene Bilderbuch Beatriz und die Platane. Für das Portrait spricht sie einige der Texte auf Portugiesisch, also der Sprache, in der Ilse Losa fast alle ihre Texte verfasste. 

LITERATUR

VON ILSE LOSA

BILDERBUCH

Beatriz e o Plátano (1978)/ Beatriz und die Platane. (Portugiesisch-Deutsch. Übersetzung: Isabel Remer. Illustrationen: Lisa Couwenbergh) www.oxalaeditora.com. Lünen 2022

Zwischen Ziegelsteinmauer und Hausmauer aus Feldsteinen und weißem Putz bilden die Begrenzung des kleinen Suttbaches.
Melle-Buer: Der Suttbach im Dorf ihrer Großeltern © CF

ROMANE

Die Welt in der ich lebte/ O mundo em que vivi (1949) (Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann und Ilse Losa.) Beck & Glückler Verlag. Freiburg 1990

Unter fremden Himmeln/ Sob céus estranhos (1962) (Ü: Ilse Losa) Beck & Glückler Verlag. Freiburg 1991

ERZÄHLUNGEN IN ANTHOLOGIEN

Ich liebe diese Felder. (Übersetzung: Elfriede Engelmayer S. 101-103. IN: Tagträume und Erzählungen der Nacht/ Caminhos sem Destino (1991) Beck & Glückler Verlag. Freiburg 1992

Weiße Ostern (Übersetzung: Curt Meyer-Clason. S. 192-195. IN: Losa, Ilse und Gonçalves, Egito (Hg.): Erkundungen. 30 portugiesische Erzähler) Verlag Volk und Welt. Berlin 1973

Unter einem weiten, blauen Himmel mit weißen Wolken ist eine flache Landschaft zu sehen. Am vorderen Bildschirmrand Wiese, dahinter Bäume, am Horizont ein hoher, schmaler Kirchturm.
Blick gen Osten nach Buer: Vom Jüdischen Friedhof aus ist der Turm der neoromanischen St. Martini-Kirche zu sehen © CF

ÜBER ILSE LOSA

Holzschuh, Julia: Selbstübersetzung bei Ilse Losa. Diplomarbeit. Universität Wien. 2012.

Schoppmann, Claudia (Hg.): Im Fluchtgepäck die Sprache. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im Exil. Orlanda Frauenverlag. Berlin 1991. (Ilse Losa: 202-237)

Wall, Renate: Verbrannt, verboten, vergessen. Kleines Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1933-1945. Pahl-Rugenstein Verlag Köln 1989. (Ilse Losa – S. 124-125)

ein älteres Buch liegt neben anderen Büchern auf dem Tisch mit dem orange roten Tischläufer. Auf dem Cover ist zu lesen "O Mund em Quelle vivi". Im Hintergrund sind die drei Forscherinnen zu sehen, verschwommen
In der Wilden Rose: Die Zeichnung auf dem Buchcover stammt von Gretchen Wohlwill (Malerin, Mitglied der Hamburger Sezession). Von den Nationalsozialisten als Jüdin verfolgt emigriert die Freundin von Ilse Losa nach Portugal und kehrt 1952 nach Hamburg zurück. © CF

ORTE

KULTURZENTRUM WILDE ROSE

Borgholzhausener Str. 75. 49324 Melle

Das Tor des jüdischen Friedhofes ist frontal im Bild. das schmiedeeiserne Tor zwischen den Backsteinsäulen ist geschlossen. Es zeigt eine stilisierte Menorah und Efeublätter aus Metall.
Das neue Tor: eine Initiative des Heimat- und Verschönerungsvereins Buer © CF

JÜDISCHER FRIEDHOF UND ILSE-LOSA-WEG

49328 Buer (Am Sunderbrook)

Stadtbibliothek Melle

Weststr. 2

IM BESTAND

Bücher von und über Ilse Losa

Beatrize o Plátano / Beatriz und die Platane

Die Welt in der ich lebte

Die Welt in der ich lebte

Tagträume und Erzählungen der Nacht

Unter fremden Himmeln

Nunes, Adriana: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten             

Meyer, Gabriele Undine: Recall

Auf einem Holztisch liegt ein rot- orange-karierter Tischläufer. Auf der Tischläufer. Auf dem Läufer steht eine Tasse mit Tee, liegen in verschiedenen Schüsseln Süßigkeiten, Walnüsse und Datteln. Dazwischen liegen Bücher.
Auf dem Tisch der Wilden Rose: Debütroman ist ein voller Erfolg. © CF

LINKS

Irene Below (Kunsthistorikerin)

Barbara Daiber (Künstlerin, Pädagogin)

VERANSTALTUNG

Ein Dorf erinnert sich: Wer war Ilse Losa?

https://artig-buer.de

19.3.2023, 15 Uhr

Lesescheune, Melle-Buer, Barkhausener Str. 78

In der Totale ist eine Landschaft zu sehen. Links im Bild eine schmale Straße. Rechts eine Wiese, am Horizont den Friedhof, das heißt, die Hecke und die hohen Bäume. Über der Landschaft liegt der blaue Himmel.
Seit 1820 besteht der Jüdische Friedhof in Buer. Ilse Losa widmet ihm eine Erzählung. © CF

Mannheim 1848

Petition vieler Bürger

TITELBILD: Jesuitenkirche und Ursulinengymnasium im Norden Mannheims

27.2.2023: WDR 5, 9.45 Uhr und WDR 3, 17.45 Uhr

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Harald Stockert steht zwischen hohen Stahlregalen. Vor ihm liegen zwei Blätter in einem Hefter. Er beugt sich über die Blätter. Hinter ihm liegen graue Kartonstapel im Regal.
Im Magazin des Marchivums: Der Historiker Harald Stockert betrachtet ein Faksimile der Märzforderungen © CF

Die Zeichen stehen auf Sturm. Im Februar 1848 fordern Europas Freigeister Revolution statt Restauration. Sie sägen an Monarchie und Ständesystem. In Paris wird der König gestürzt und die zweite Französische Republik ausgerufen. Der Funke springt zum Deutschen Bund über.

Das Bild zeigt eine Tafel. Links im Bild ist ein Stich zu sehen. Eine Frau steht mit dem Rücken zu den Betrachtenden auf einem Berg aus alten Möbeln, Steinen, Holzbohlen. Sie schwenkt eine Fahne. Vor der Barrikade stehen mehrere Menschen. Rechts im Bild steht ein Text, der das Bild erklärt.
Die Tafel in der Dauer-Ausstellung im Marchivum ist Lisette Hatzfeld gewidmet. © CF
Blick in den Westen: Das Bild zeigt einen Parkplatz. Hinter dem Parkplatz fließt der Rhein horizontal durchs Bild. Am Horizont, jenseits des Flusses, sind Neubauten und Kirchturmspitzen zu sehen.
Mit den Augen von Lisette Hatzfeld: 1848 gelangten die Menschen per Schiffsbrücke auf die andere Rheinseite, ins bayerische Ludwigsburg, damals ein Dorf. Dort standen bayerische Soldaten. In Mannheim standen die Revolutionär:innen auf der Barrikade. © CF

Barrikaden werden errichtet, Flugblätter verbreitet, blutige Kämpfe ausgefochten. In sämtlichen deutschen Staaten gibt es Volksversammlungen. Die erste Versammlung findet im badischen Mannheim statt. Erklärtes Ziel sind Pressefreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichte, ein deutsches Parlament. 

Zu sehen ist eine Wiese, die von einem Weg begrenzt wird. Am oberen Bildrand, am Ende der Wiese steht ein Schiller-Denkmal. Am Horizont: ein Mehrfamilienhaus.
Auf dem Schillerplatz: Hier stand das ehemalige alte Nationaltheater Mannheims. Am Vorabend der Revolution sahen die Besucher:innen eine Vorstellung von Friedrich Schillers Drama „Wilhelm Tell“. © CF

Beilagen und Feuilletons sind voll mit Berichten über die Absetzung des französischen Königs. In Mannheim bittet mit Gustav Struve einer der führenden Köpfe der Revolution in die Schulaula des Großherzoglichen Gymnasiums. Diese Versammlung ist die Blaupause für unzählige weitere Zusammenkünfte im Deutschen Bund

Eine Treppe führt zum Eingang in ein Schulgebäude. Vor der Treppe stehen Fahrräder auf einem Pflasterweg.
Eingang zum Ursulinengymnasium: Der 60erJahre-Bau steht an der Stelle, an der die frühere Aula des einstigen Jesuitengymnasiums und späteren Lyceums stand. © CF

Am Nachmittag des 27. Februars 1848 ziehen rund 2500 Menschen in Mannheims Norden, in die Aula. Sie sind Beamte, Gelehrte, Händler, Politiker. Auch Frauen sind dabei, zum Beispiel Struves Ehefrau Amalia Struve.

Links im Bild ist ein Bau aus der Gründerzeit zu sehen mit Rundbogenfenster und einer Tür an der Hausecke. Das Haus steht an der Ecke von zwei Straßen.
Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution „Amalia“benannt nach Amalia Struve. © CF

Amalia Struve und ihre Mitstreiterinnen kämpfen um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Am Ende der Versammlung liegt eine Petition vor, die als die Mannheimer Märzforderungen in die Geschichte eingeht. 

Zu sehen ist eine Bilderwand mit Stichen und Portraits von Menschen und Ereignissen aus der Zeit der 1848er Revolution.
Dauerausstellung im Marchivum: Amalia Struve (o. re.), Friedrich Hecker (Mitte re. mit Hut und Hahnenfeder), Revolutionär:innen am Bahnhof (u. re)

Gustav Struve verliest das Grundsatzprogramm, in dem das Recht auf Selbstbestimmung verlangt wird, das Recht auf Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, ohne Unterschied der Geburt und des Standes

Frontalansicht: Das alte Rathaus Mannheim mit der katholischen Kirche in der Mitte der beiden Gebäudehälften.
Marktplatz Mannheim: Vor dem Rathaus feiern tausende Menschen die Rückkehr der Delegation, die die Petition dem Großherzog in Karlsruhe überbracht hat. © CF

Am nächsten Tag werden die Märzforderungen dem Landtag in Karlsruhe überbracht. Tausende Menschen aus ganz Baden strömen in die Hauptstadt des Großherzogtums. Allein aus Mannheim reisen 3000 Männer und 600 Frauen an. Sie werden Zeug:innen vom Beginn der Revolution 1848/49. 

Zu sehen ist ein zweigeschossiger Rundbau aus rotem Mainsandstein. Milchglasfenstern und einem dreigeschossigen Kirchturm mit kupfergedeckter Laterne
Paulskirche in Frankfurt am Main: Tagungsort der Nationalversammlung (1848 bis 1849) © CF

Mit dem Historiker Klaus Ries sprach ich über die Revolution in den Staaten des deutschen Bundes. Mit Harald Stockert, dem stellvertretenden Direktor des Marchivums besuchte ich die Orte des revolutionären Mannheims.

Harald Stockert lehnt an einem Geländer. Hinter ihm sind Gleise zu sehen. Am Horziont stehen Hochhäuser.
Harald Stockert steht an der Bahnstrecke zwischen Mannheim und Karlsruhe. © CF

Marchivum

Archiv, Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung, NS-Dokumentationszentrum

Archivplatz 1, 68169 Mannheim

An einer Wand aus rötlichen hängt eine quadratische Messing-Plakette mit der Büste Heinrich von Gagerns. Sein Bildnis ist erhaben.
Am Mainsandstein der klassizistischen Paulskirche: Heinrich von Gagern ist der Präsident des ersten gesamtdeutschen Parlaments © CF

Paulskirche Frankfurt am Main

Paulsplatz 11, 60311 Frankfurt am Main

Zu sehen ist ein Steinbrunnen auf einem Platz. Im Hintergrund erhebt sich über einer Terrasse ein moderner, quadratischer Betonbau mit Glasfensterfront.
Paradeplatz mit Blick aufs Stadthaus: Hier stand das ehemalige Kaufhaus mit dem Schwurgerichtssaal. 1849 wurden hier Haftstrafen und Todesurteile verhängt, über Monate. © CF

Originalliteratur

Amalie Struve. Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen. Den deutschen Frauen gewidmet. 1850.

gelesen von Kathrin Baumhöfer

Georg Büchner. Der hessische Landbote. Friede den Hütten! Krieg den Palästen! 1834.

Petition vom 27.2.1848, die Mannheimer Märzforderungen

gelesen von Nils Kretschmer

Nils Kretschmer steht vor einer Hausfassade und blickt Richtig Himmel. Hinter ihm sind die Kölner Kranhäuser zu erkennen.
Nils Kretschmer (Schauspieler) Rechte: Nils Kretschmer

Siebenjähriger Krieg

Friede zu Hubertusburg

WDR ZeitZeichen am 15.2.2023

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Vormacht um jeden Preis

Unterhändler der Großmächte treffen sich im sächsischen Jagdschloss

Eine schnurgerade Asphaltstraße führt durch einen Wald. Am Horizont ist die Spitze des Schlossturmes zu sehen.
Im Wermsdorfer Forst: Poststraße zwischen Leipzig und Dresden. Am Horizont der barocke Schlossturm © CF

Europa ist kriegsmüde. Seit August 1756 kämpfen Europas Großmächte Preußen, Österreich, Russland, Frankreich und Großbritannien um mehr Macht. Die wollen die Vorherrschaft in Europa, die anderen mehr Kolonien in Indien und Nordamerika. Sieben Jahre späte gibt es hunderttausende Tote und Verletzte, leere Kassen, verwüstete Länder. 

Ein Türknauf aus Messing ist auf eine Holztür aufgebracht.
Was von der Plünderung übrig blieb: Ein originaler Türknauf überdauert die Epochen © CF

Wermsdorf bei Grimma. Abgesandte des Kurfürstentums Sachsen und der Königreiche Preußen und Österreich treffen sich zu Friedensverhandlungen auf Schloss Hubertusburg, einer Perle des sächsischen Rokokos. Doch die ohnehin kurze Glanzzeit ist längst vorbei, als Kurfürst August III., König von Polen, auf seiner Zweitresidenz rauschende Feste feiert. 

Druntersicht: Eine Hausfassade ist mit Netzen abgehängt. Die Fenster sind vergittert. Vor dem haus steht eine kaputte Straßenlaterne.
Gartenfassade: Hier befand sich einst der riesige Spiegelsaal. Später diente das Schloss als Lazarett, Gefängnis, Psychiatrie, Krankenhaus. Jetzt steht der Flügel zum Westen leer. © CF

Zwischen den Erzfeinden Preußen und Österreich schwelt der Konflikt um eine Provinz der Habsburger. Preußen hatte Schlesien erobert, Österreich will seine reichste Provinz zurückerobern. Parallel liefern sich Frankreich und Großbritannien erbitterte Seegefechte auf dem Atlantik und in Nordamerika. Ende August 1756 marschiert Preußen in Sachsen ein, das zwischen den verfeindeten Königreichen liegt. Sachsens Kurfürst flieht nach Warschau, das Jagdschloss wird durch Preußens Armee geplündert, das Inventar verkauft. 

Das Detail zeigt eine mit Seidenstoff bespannte Wand. Der Stoff ist bordeauxrot, in den rosafarbenen Ornamenten eingewebt sind.
Rekonstruiertes Detail in der Königsloge der Hubertuskapelle CF

Im Februar 1763 treffen sich die Unterhändler von Österreich, Preußen und Sachsen in einem Nebengebäude der Schlossanlage, im südlichen Rundflügel, und besiegeln das Ende des Siebenjährigen Krieges, der auch als erster Weltkrieg in die Geschichte eingeht. 

Ein schmales Fensterkreuz unterteilt die Landschaft in vier Abschnitte. Zu sehen ist ein halbrunder Bau mit roten Dachziegeln und cremefarbener Fassade. Der Mittelrisalt unterteilt die Fassade in drei Abschnitte.Vor dem Bau ist ein Schlosspark sehen, den ein Wegekreuz unterteilt.
Blick zum Verhandlungsort: Vom sanierten Ovalsaal im Schloss aus sehen wir einen der Nebenbauten. Hier trafen sich die Gesandten in nüchterner Atmosphäre. © CF
Durch das Fenster ist die Schlossfassade zu sehen. Ovaler Mittelrisalit mit Glockenturm und Turmuhr. Das Fensterkreuz unterteilt die Ansicht.
Blick vom nördlichen Rundflügel: Die preußischen Beamten wohnten hier, nur eines der traurigen Symbol des grausigen Krieges vor Augen. Die kupfernen Dachpfannen waren weg, Fenster und Türen rausgerissen, Glocken und Turmuhr abmontiert.

Ausgestattet mit großen Vollmachten entwerfen die Staatsbeamten Friedensartikel. Am 15. Februar 1763 unterzeichnen Österreichs Hofrat Heinrich Gabriel von Collenbach und Preußens Vertreter Ewald Friedrich von Hertzberg den Friedensvertrag zwischen Österreich und Preußen.

Die frontale Szene zeigt einen Naturstein, in den ein ovales Bildnis Eigelasse ist. es zeigt das erhabene Profil eines Männerkopfes. Auf de einen Seite des Natursteins wächst eine Zypresse, auf der anderen ein immergrüner Busch. Das Ensemble steht zwischen kahlen Bäumen
Das Medaillon zeigt Thomas von Fritsch. Dahinter stand das schlosseigene Opernhaus. Sein Fachwerk diente zum Bau der Holzkisten, in dem die Kostbarkeiten abtransportiert wurden. © CF

Für Sachsen setzt der Geheimrat Thomas von Fritsch seine Signatur unter den Text. Der Status quo ante bellum ist wieder hergestellt. Preußen behält Schlesien und zieht seine Truppen aus Sachsen ab.

Links im Bild ist eine Postsäule aus Naturstein zu sehen, größer als ein Mensch. In den Stein ist ein Posthorn eingemeißelt und golden lackiert. Auf der einen Seite ist Wald, auf der anderen eine Asphaltstraße.
Postsäule im Wermsdorfer Forst. © CF

Am Ende des globalen Krieges steigt Preußen zur fünften Großmacht Europas auf. Großbritannien schlägt Frankreich. Das British Empire ist geboren. Die Folgen des Krieges sind fatal. Opfer sind nicht nur hunderttausende Soldaten, sondern auch mindestens ebenso viele Zivilist:innen.

Marian Füssel sitzt auf einer Bank an einer Straße. Im Hintergrund steht ein schmiedeeiserner Pavillon vor einem großen Gebäude aus Ziegeln.
Prof. Marian Füssel in Kanada, einem Schauplatz des French and Indian Wars. © Privat

Ich sprach mit dem Historiker Marian Füssel von der Uni Göttingen, mit Martina Elvira Lotzmann, Vorständin des Freundeskreises Schloss Hubertusburg und mit Ulf Müller, Gästeführer und Mitglied der europäischen Organisation Places of Peace.

Bucheinschlag - Rückseite: Beschreibung des Inhalts und ein Posthorn/ Cover: Ansicht der Ostfassade des Schlosses unter blauem Himmel
Schloss Hubertusburg © Staatliche Kunstsammlungen Dresden
(linke Seite) Modell des Schlossareals. In der Draufsicht ist eine barocke Anlage zu sehen. Weiße stilisierte Bauten auf grauem Grund. Im Osten sind die Rundbauten mit Schlossstraße, rechts im Bild Park mit Se/ (rechte Bildhälfte) Plan aus dem Jahr 1741 zeigt den Grundriss eines Waldgebietes mit schnurgeraden Schneisen, die das gebiet wie ein Schachbrett unterteilt
(li) Modell des Schlossareals mit Barockgarten im Westen, in seiner kurzen Blüte zwischen 1752 und 1761/ (re.)
Christian Friedrich Boëtius: Grundriss der Mutzschener Heide mit den Jagdschneisen für
die Parforcejagd, Ausschnitt, 1741, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden © Rechte SKD

Schloss Hubertusburg

04779 Wermsdorf

Martina Lotzmann steht vor einem mehrgeschossigen Haus mit langen Fensterreihen. Sie trägt kurze graue Haare, eine Brille mit blauem Rahmen und Winterjacke.
Martina Lotzmann im Innenhof von Schloss Hubertusburg © CF

Freundeskreis Schloss Hubertusburg e.V.
Schloss Hubertusburg –
im Grossen Schlosshof –
Haus 12 – direkt an der Pferdeschwemme
04779 Wermsdorf

Ulf Müller steht in einem Saal, vor schmalen langen Spiegeln, in denen sich Kronleuchter spiegeln. Er trägt einen Parka und kurze graue Haare.
Ulf Müller im Kleinen Ovalsaal im Ostflügel des Schlosses © CF

Places Of Peace

Europäisches Netzwerk

Der südliche Rundbau ist leicht gewölbt. Auf zwei Geschossen befinden sich Fenster. Über dem schmalen Risalit ist eine Stuckarbeit, die das sächsische Wappen zeigt.
Friedensraum, heute Landesarchiv © CF

Nathan Bedford Forrest

Gewalttäter und Geheimbündler

Der zweifelhafte Ruhm einer Südstaaten-Ikone

145. Todestag des Generals und Ku-Klux-Klan-Meisters 

TITELBILD

Nathan Bedford Forrest (um 1863) © Rechte: The William A. Gladstone Collection of African American Photographs (Library of Congress)

WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45) am 29.10.2022

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Er ist brutal und gerissen. Er hasst Schwarze, schießt Pferde unter seinen Gegnern weg und tötet, wer ihm in die Quere kommt. Nathan Bedford Forrest ist Sohn weißer Siedler und der reichste Mann im Süden der USA. Er kämpft im Bürgerkrieg auf Seiten der Konföderation gegen die Union der Nordstaaten. 1865 ist die letzte Schlacht verloren und eine zweifelhafte Ikone geboren. Genau der Richtige für den Führungsposten des Ku-Klux-Klans: The Grand Wizard. 

Nashville, Tennessee, Anfang des Jahres 1867. Der Ku-Klux-Klan ernennt auf seinem ersten Bundeskongress den Großen Hexenmeister. In den Augen der Mitglieder ist Nathan Bedford Forrest ein Militär-Genie, der die Blauröcke das Fürchten lehrt.

Die Zeitungsseite zeigt zwei Kupferstiche. In der oberen Szene überqueren Pferdefuhrwerke den Red River in Louisiana. In der unteren Szene erschlagen und Erstecken Soldaten der Konföderierten vorwiegend afroamerikanische Soldaten am Mississippi.
Die Truppen des Generals Nathan Bedford Forrest schlachten Unionssoldaten, die sich ergeben hatten. Die Opfer sind African American und weiße Menschen aus den Südstaaten, die auf Seiten der Nordstaaten kämpften. © Frank Leslie/ Kupferstich: Charles E. H. Bonwill

Unter seiner Führung schlachtet das Regiment wehrlose Unionssoldaten, die sich ergeben hatten. Augenzeugen zufolge färbt sich der Mississippi rot vom Blut der massakrierten Männer. Die meisten Opfer sind African American.

Das Schwarz Weiß Portrait aus dem Jahr 1863 zeigt einen schwarzen Soldaten. r sitzt, hält eine Pistole in der Hand, trägt ein Uhrenband an der Uniformjacke und Hut auf dem Kopf.
Das Bildnis des unbekannten Mannes in Uniform (1863) zeigt einen von rund 200.000 schwarzen Soldaten, die auf der Seiten der Union gegen die Konföderation kämpften © Gladstone Collection of African American Photographs (http://hdl.loc.gov/loc.pnp/pp.gld)
das Foto zeigt eine Gedenktafel, auf der die Geschichte dieses Ortes beschrieben wird, auf Englisch. Der text schildert den Menschenhandel, den Nathan Bedford Forrest hier betrieb. Zu Wort kommen auch ehemalige Sklaven.
Mitten in der Stadt in Memphis betreibt Nathan Bedford Forrest einen Sklav:innenmarkt. Heute steht an der Stelle eine Gedenktafel.

Schwarze Menschen sind bereits für den jungen Nathan Bedford Forrest „Ware“. In Memphis betreibt er Sklavenhandel, verdient eine Menge Geld. Er spekuliert mit Plantagen, ist Glücksspieler und Duellant. Anfang der 1860er Jahre, zu Beginn der Sezessionskriege, ist Nathan Bedford Forrest Millionär.

Das Farbfoto zeigt ein Holzhaus mit ebenerdigem Anbau und Terrasse in einer ländlichen Gegend.
In dem Haus wuchs Nathan Bedford Forrest auf © Foto rossograph

Geboren Chapel Hill, einem kleinen Kaff am Duck River in Tennessee, wächst er im ländlichen Süden auf, in einer armen Familie mit 11 Geschwistern. Der Vater, ein Schmied, stirbt früh. Die Mutter heiratet erneut. 

Das Schwarz Weiß Foto aus dem jähre 1906 zeigt eine Reiterstatue im Profil. um die Statue herum stehen viele Menschen, die Männer tragen schwarze Anzüge und Hut, die Frauen lange Röcke.
Eine der Reiterstatuen, die Nathan Bedford Forrest zeigt. Sie wird 1904 in einen nach ihm benannten Park aufgestellt. Inzwischen wurde der Park umbenannt und die Statue übergeben, an die Söhne der Konföderierten Veteranen © Detroit Publishing Company photograph collection (Library of Congress)

Nach dem erbitterten Bürgerkrieg ist Nathan Bedford Forrest erst Präsident einer Eisenbahngesellschaft, später Leiter einer Gefängnisfarm und schließlich der Vorsitzende des berüchtigten Geheimbundes. Zwei Jahre vor seinem Tod distanziert er sich vom Ku-Klux-Klan, zumindest offiziell. Mit 56 Jahren stirbt Nathan Bedford Forrest in Memphis, am 29. Oktober 1877. Was bleibt? Mehr als 30 Reiter-Denkmäler und Büsten. Parks und Schulen tragen seinen Namen. Er war Vater von zwei Kindern, die Tochter stirbt als Kind. Über den Sohn ist nicht viel bekannt. Aber Enkel und Urenkel treten in die rassistischen Fußstapfen ihres Ahnherrn. Der Enkel ist ebenfalls im Ku Klux Klan „tätig“. Forrests Urenkel geht in die Armee. Er ist der erste amerikanische General, der im zweiten Weltkrieg getötet wird, 1943 bei einem Bombenangriff über Kiel abgeschossen.

UND Nathan Bedford Forest ist der Namensgeber des Romanhelden Forrest Gump. Doch die Titelfigur, die Tom Hanks in dem gleichnamigen Hollywoodfilm berühmt machte, ist ganz das Gegenteil von Nathan Bedford Forrest. Die historische Figur ist ein Mörder, Menschenhändler und Kriegsverbrecher.

Prof. Finzsch sitzt am Tisch, schaut in die Kamera. Auf dem Tisch steht eine Teekanne.
Der Historiker Norbert Finzsch © Privat

Ich sprach mit Norbert Finzsch. Er ist emeritierter Professor für Angloamerikanische Geschichte an der Universität zu Köln und Gastprofessor an der Sigmund Freud Privatuniversität Berlin.

The Times

Schriftzug "Times New Roman" auf grauem Untergrund

3.10.1932: Neue Typen in The Times

3.10.2022: WDR 5 – 9.45 Uhr/ WDR 3 – 17.45 Uhr

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Times New Roman gibt sich einfach und robust, hat einen kontrastreichen Strich und scharfkantige Serifen. Der Stammbaum dieser Schrift reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. In der Zeit der Renaissance entstand die sogenannte Antiqua, eine Kombination aus den Großbuchstaben des antiken Römischen Reiches und den Kleinbuchstaben der Mönche.

Ölgemälde aus dem 16. Jahrhundert: Portrait von Christoph Plantin, eines Mannes, der im Halbprofil aus dem Bild schaut, Zirkel und Buch in der Hand
Christoph Plantin (niederländisch Christoffel Plantijn) Portrait von Peter Paul Rubens (1616)

Der Humanismus besann sich auf die „Alten“, die „Antiqua“. Zum Beispiel der in Frankreich geborene Christoph Plantin. Der Humanist und Buchdrucker wirkte in Antwerpen und zeitweise auch in Köln. Die nach Plantin benannte Schrift diente dem britischen Typograph Stanley Morison als Vorbild.

Bleistift-Zeichnung eines Mannes (Stanley Morison) im Halbprofil, gescheiteltes kurzes Haar, Brille
Stanley Morison. Zeichnung von Sir William Rothenstein (1923)

Anfang der 1930er Jahre entwickelte Morison eine neue Schrift. Victor Lardent, Designer bei der Tageszeitung The Times, setzt die Idee zeichnerisch um. Das Ergebnis ist eine der heute geläufigsten Schriften: Times New Roman.

Titel "The Times" in Times New Roman
Ausgabe vom 3.10.1932 © Screenshot/ The Times

Das Abendland sieht im geschriebenen Wort eine der größten Leistungen des menschlichen Verstandes. Spätestens seit der Renaissance, als die ersten Bücher mit beweglichen Lettern gedruckt wurden, gilt Typographie als Sinnbild für Schrift schlechthin. Schrift ist Bedeutungsträger und Objekt, ist Realität und Symbol. Schriftbilder verleihen „ihrem“ Medium ein Image, das sofort ins Auge sticht. Schriftbilder wirken modern oder antiquiert, nostalgisch, feindselig oder zeitlos. Tageszeitungen sollten Aktualität ausstrahlen.

Titel "The Universal Daily-Register" aus dem jähr 1785
Ausgabe aus dem Gründungsjahr 1785 mit ursprünglichem Titel © Screenshot/ John Walter
Titel "The Times." in Fraktur und mit Punkt am Ende aus dem Jahr 1796
Ausgabe vom 12.5.1796: Fraktur und Punkt © Screenshot/ John Walter

Der Tageszeitung The Times.(Der Punkt ist gewollt) schien genau diese Wirkung abhanden gekommen zu sein, spätestens Ende der 1920er Jahre. Stanley Morison jedenfalls ließ an der Aufmachung kein gutes Haar. Für den Geschäftsführer des Londoner Blattes war der Kritiker genau der richtige Mann und er holte ihn als künstlerischen Berater ins Verlagshaus. 

Im Oktober 1932 erschien The Times in einem anderen Design. Kein Punkt mehr im Titel, dafür eine neue Schrift im Satz. Als Times New Roman werden die Typen weltberühmt und gehören bis heute zu den wichtigsten Fonts. 

1972 verabschiedete sich die Times von der Schrift. Seither spielt sie mit verschiedenen Antiqua-Varianten.

Titel "The Times" in times Modern vom September 2022
Times Modern © Screenshot The Times

2006 erhielt The Times ihr aktuelles „Kleid“.

Schriftzug FF Blur mit Weichzeichner und abgerundeten Lettern
Entworfen 1992/ seit 2011 in Designsammlung des Museum of Modern Art © Screenshot/ Neville Brody

Der englische Schriftenentwerfer Neville Brody verpasste der Zeitung Times Modern

Bertram Schmidt-Friderichs erinnert sich, wie er als Lehrling die Lettern in Times New Roman gießen musste. Er ist gelernter Schriftsetzer und studierter Kunsthistoriker. In Mainz übernahm Bertram Schmidt-Friderichs den Verlag seines Vaters. Er spezialisierte sich auf typographische Fachliteratur und trifft einen Nerv. Heute ist der Verlag Hermann Schmidt eines der führenden Häuser weltweit. Zusammen mit seiner Frau Karin Schmidt-Friderichs (seit 2019 Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels) publiziert er Werke rund um Schriftbilder, Webfonts, Diskurse über Typographie. Mit Bertram Schmidt-Friderichs sprach ich über die Wirkung von Typographie, Schriftmoden und das Schriftbild der The Times, bei der „sie“ ihre Karriere begann: Times New Roman. 

Verlag Hermann Schmidt Mainz

Fassade des Verlagshauses, eine lange Fensterfront in der Fassade. Über dem Tor steht auf einem roten Banner das Logo des Verlags "Verlag Hermann Schmidt Mainz"
Verlagshaus im Gebäude einer einstigen Konservenfabrik © CF

Dakota

Volk der Sioux Nation

1862: US-Army siegt am Wood Lake gegen die Krieger der Dakota

TITELBILD

Filmstill aus dem Dokumentarfilm Dakota 38 (2011) Regie: Silas Hagerty. © Smooth Feather Productions © Smooth feather productions

Stilisierter Adler
© Smooth Feather

23.9.2022/ WDR 5, 9.45 Uhr/ WDR 3, 17.45

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Zorn der Verzweiflung

Dakota verlieren blutigen Kampf

Filmplakat: zwei Männer reiten im Galopp durch den Schnee
Dakota Memorial Ride 38+2: Dokumentarfilm über den Dakota Memorial Ride von Lower Brule (South Dakota) nach Mankato (Minnesota). Seit Dezember 2006 reiten jedes Jahr Dakota and friends knappe 600 Kilometer aus dem „Dakota Territorium“ (heutiges North- and South Dakota) nach Mankato (Minnesota) zur Hinrichtungsstätte, an der 38 Dakota gehängt wurden (1862). 1865 wurden zwei weitere Männer gehängt. © Smooth feather productions

USA. Mittlerer Westen. Minnesota im Jahr 1862. Der Bundesstaat ist jung und Abraham Lincoln ein Jahr im Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Im Süden der jungen Demokratie tobt ein blutiger Bürgerkrieg, im Norden sind die Männer rar. Eine günstige Gelegenheit, zuzuschlagen. Krieger der Dakota, wie eine der Gruppen der Sioux-Nation heißt, wollen ihr Land zurück. Doch der Kampf ist aussichtslos. Im Tal des Minnesota-Flusses, am Wood Lake, besiegt eine Armee der Union die aufständigen Dakota. 

Farbfoto einer Stadtansicht am Fluss, mit Wolkenkratzern, Eisenbahnschienen und viel Grün
Saint Paul: Hauptstadt von Minnesota. Im 19. Jahrhundert ließen sich Weiße aus Kanada hier nieder © Gemeinfrei

Mitte des 19. Jahrhunderts strömen weiße Siedler:innen in den Mittleren Westen, an die Frontier, die Grenze zu „unbesiedeltem“ Land. Ein Hohn, denn hier leben Native Americans. Während ein Bundesstatt nach dem anderen entsteht, werden die First Peoples in Reservationen abgeschoben, gefängnisartige Areale am Minnesota-River. Hier sollen sie lernen, Felder zu bestellen und Böden zu beackern nach westlichem Vorbild.

Gemälde einer Landschaft am Fluss, gesäumt von Miniaturbildern, die verschiedene Gebäude zeigen, ein Fort, Mühlen, Fabriken, Häuser
New Ulm am Minnesota River © Gemälde: Julius Berndt (Architekt) 1860

Viele der Siedler:innen wie der Architekt und Baumeister Julius Berndt stammen aus Deutschland. Zwischen 1820 und 1914 sind rund fünf Millionen Menschen aus Deutschland ausgewandert. Auf dem „frei gewordenen“ Land gründen sie Städte, zum Beispiel New Ulm. 

SchwarzWeiß Foto einer Gruppe von acht weißen Männern und einer Frau, die ernst in die Kamera blicken.
Die ersten Siedler:innen in New Ulm (1860) © Gemeinfrei/ Library of Congress

Forty Eighters und Forty Niners, wie die Deutschen genannt werden, suchen nach der gescheiterten Revolution ihr Glück in den USA. Sie erwerben billiges Land und lassen sich im Tal des Minnesota-Rivers nieder. 

Zeichnung eines sitzenden Mannes mit langer Pfeife und einem aufwendigen Kopfputz
Chief Taoyateduta (Little Crow), gezeichnet von Frank Blackwell Mayer 1851 in TRaverse de Sioux © Carli Digital Collections (https://collections.carli.illinois.edu/digital/collection/nby_eeayer/id/2560/)

Für die indigenen Gemeinschaften am Minnesota River unterzeichnete der Chief Taóyatedúta, auch bekannt als Little Crow, die Verträge, die die USA ihnen unterbreitet hatte. Ihnen bleibt kaum eine Wahl. Der Präsident der Vereinigten Staaten Abraham Lincoln will die Weiten der Great Plains mit aller Macht urbar machen.

Ein Haus aus Bruchsteinen. Kleine, vergitterte Fenster.
Lagerhaus der Lower Sioux Agency in Redwood County © Foto McGhiever 2012

Am Minnesota-Fluss lebt die indigene Bewohnerschaft in den ihnen zugewiesenen Territorien. Das in den Verträgen zugesicherte Geld aber kommt verspätet oder gar nicht. Die Agenturen in den beiden Reservationen werden zum Teil von korrupten Angestellten betrieben. 

Frauen, Männer, Kinder hungern, verschulden sich bei den sogenannten Handelsposten. Als der Inhaber eines solchen Agentur gebeten wird, die Ration vorzustrecken, schlägt dieser vor, dass die Bittenden doch Gras oder die eigene Scheiße essen sollten. Was folgt, ist eine Kaskade der Gewalt. 

Binnen Wochen verlieren Hunderte weißer Siedler:innen, auch Kinder und Babies verlieren auf grausige Weise ihr Leben. Auch der schwarze Barbier der Lower Sioux Agency wird nicht verschont. 

Cover in hellem Blau: drei Menschen schauen in die Kamera
Indigene Zeitzeug:innen berichten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven die Zeit 1862, 1863

Viele Dakota machen mit, aber längst nicht alle. Durch die Gemeinschaften selbst geht ein tiefer Riss. Die einen befürworten, die anderen verabscheuen die Gewaltspirale und verstecken sogar Weiße. 

Allerdings sitzen die eigentlichen Schuldigen im Weißen Haus. Die haben, zynisch gesprochen, Wichtigeres zu tun als Verträge einzuhalten und sich um das Wohl der First Peoples zu kümmern. Zwischen der Armee der Nordstaaten und der in einer Konföderation vereinigten Südstaaten toben die unerbittlichen Sezessionskriege (1861 bis 1865). In den Reservaten verschlechtern sich die Lebensbedingungen, die ohnehin nie rosig waren.

Schwarz Weiß Foto eines Mannes mit drei Adlerfedern im Haar und heller Kleidung
Chief Taoyateduta im Jahr 1858 Foto: Julian Vannerson

Junge Krieger besuchen ihn in seinem Steinhaus, das direkt neben dem Tipi steht, bitten ihren Chief um Beistand. Daraufhin hält er seine in die Geschichte eingegangene Rede. „Ihr seid kleine Kinder, ihr seid Narren. Ihr werdet sterben wie die Hasen.“ Tóyatedúta, bekannt auch als Little Crow zieht dennoch mit ihnen in die Schlacht an den Wood Lake.

Abraham Lincoln ordnet die Niederschlagung des Aufstandes an. Das Oberkommando hatte John Pope, ein Bürgerkriegsgeneral, der erst vor einigen Wochen ein Gefecht gegen die konföderierten Truppen verloren hatte und sich jetzt beweisen will. 

Der Bison, das heilige Tier der Sioux lebt nur noch in Wildparks © Library of Congress (National Photo Company) Foto: Glasnegativ (1909-1923) 

23. September 1862, am Wood Lake. Die Truppe unter Oberst Henry Sibley gewinnt die Schlacht. Pope ordnet die Vernichtung der Dakota an. „Sie sind als Fanatiker und wilde Tiere zu behandeln, und keinesfalls als Volk, mit dem Verträge oder Kompromisse gemacht werden können.“ In Eilverfahren werden hunderte Menschen schuldig gesprochen.

Farblithographie einer Hinrichtung, in der Ferne auf einem Podest stehen 38 Männer unter einem Galgen, umringt von Soldaten. Menschen stehen im Vordergrund des Bildes
Blutgerüst in Mankato (Minnesota): Gaffende stehen jenseits der berittenen Armee. Die Dakota-Hymne singend steigen die 38 zum Tode verurteilten Männer auf die Holzbühne ganz nah am Fluss. © John Wiese 1883/ Chromolithografie 

26. Dezember, Mankato. Abraham Lincoln billigt die Hinrichtung von 38 Dakota. Einen Tag nach Weihnachten sterben sie am Galgen. Es ist die größte Massenhinrichtung in der Geschichte der USA. 

Alle anderen Dakota werden vertrieben, fliehen, sterben durch Kopfgeldjäger. Der Aufstand markiert den Beginn eines zwei Jahrzehnte dauernden Widerstandes gegen die brutale Expansion der jungen „Demokratie“. 

Portrait eines Mannes, der mit rotem T-Shirt an einem Baumstamm steht
Aram Mattioli © Privat

Ich sprach mit Aram Mattioli, Professor für Geschichte der Neuesten Zeit, an der Universität Luzern.

Buchcover: Ein indigenen Mensch steht auf einem Stein in einem Fluss, Speer in der Hand.

Beim Klett-Cotta-Verlag veröffentlichte der Historiker einen wegweisenden Band über die Geschichte der Indianer in Nordamerika (1700 bis 1910). 

THANKS TO

Smooth Feather 

Dakota 38 (full movie)

Eine Gruppe von Reitern reiten auf ihren Pferden auf einer schneebedeckten Straße, frontal auf die Betrachterin zu. Gegenlicht und Nebel sorgen für eine mystische Stimmung.
Dakota Memorial Ride 38+2: Der Initiator Jim Miller, Dakota, Vietnam Veteran, spiritual leader, versteht die 16 Tage lange Reise als ein Ritual der Heilung. © Smooth feather productions

Althea Gibson

1957: Erste Afroamerikanerische Wimbledon-Siegerin

Matchball gegen den „Weißen Sport“

TITELBILD

Althea Gibson © Foto: Fred Palumbo, 1956. Credits: New York World-Telegram and Sun Collection. Library of Congress Prints & Photographs Division (Library of Congress on Unsplash)

6. Juli 2022

9.45 Uhr: WDR 5

17.45 Uhr: WDR 3

Link zum Podcast

© HarperCollins 2020

London im Sommer 1957. Eine Tennisspielerin bezieht das Haus am Rossmore Court, ganz in der Nähe des Güterbahnhofs von Paddington. Althea Gibson, hochgewachsen, schlank, sportlich, schnell. Zum dritten Mal betritt die afroamerikanische Sportlerin Wimbledon, fest entschlossen, als Siegerin vom Rasen zu gehen. 

„Sie konnte eine Zigarette rauchen, ein Glas Whisky trinken – immer in Maßen, das war ihr Fitnesskonzept – und in der Badewanne Nachtclub-Balladen singen“, schreibt Bruce Schoenfeld in seiner Biographie über Althea Gibson. Eine African American, die mit kraftvoller Vor- und Rückhand den Weißen Sport, wie das Tennisspiel oft genannt wird, in die Diversität schmettert. 

Seite aus dem Buch „Althea Gibson. The Story of Tennis‘ Fleet-of-Foot Girl“ Text: Megan Reid/ Illustrationen: Laura Freeman © HarperCollins 2020

Althea Gibson: geboren am 25. August 1927 in South Carolina, aufgewachsen in New Yorks Stadtteil Harlem. In Für sie ist Rassentrennung Alltag. Auch in den Turnieren herrscht Segregation. Das Spiel gegen weiße Sportlerinnen?! Nicht in den elitären Countryclubs. 

Erst ein offener Brief des weißen Tennisstars Alice Marble in einem angesagten Sportmagazin ebnet ihrer jungen Kollegin den Weg. 

Wenn Tennis ein Sport für Ladies und Gentlemen ist, sollten wir uns auch endlich etwas mehr wie solche verhalten und nicht wie scheinheilige Heuchler. Wenn noch ein Rest an Sportsgeist vorhanden ist, ist es überfällig, sich auf diesen zu besinnen.

Kurze Zeit später öffnet sich das Tor in Forrest Hills. Althea Gibson spielt 1950 bei US National Championships, den heutigen US Open. Ein Jahr später steht sie als erste Afroamerikanerin im Stadion von Wimbledon. Es sollte noch sechs Jahre dauern, bis sie als beste Spielerin der Welt vom Heiligen Rasen geht. 

Das Buchcover zeigt Althea Gibson auf dem Spielfeld. Sie rennt über den Rasen, den Schläger in der Position der Vorhand
©  Oxford University Press (erscheint 2023 in den USA)

Der 7. Juli 1957 ein heißer Tag. Queen Elisabeth, seit vier Jahren im Amt, bezieht zum ersten Mal die königliche Loge im Centre Court von Wimbledon und verfolgt das Finale im Damen-Einzel. Althea Gibson schlägt ihre Landsfrau Darlene Hard. Eine knappe Stunde später überreicht die britische Monarchin der Schwarzen Spielerin aus Harlem die Trophäe. Ein historischer Sieg, der die Tenniswelt für immer verändert. Mehr als 30 Jahre später hat es mit Zina Garrison die zweite Afroamerikanerin ins Finale in Wimbledon geschafft. 

Inzwischen ist Tennis in der Tat diverser geworden, nicht zuletzt dank Althea Gibson. Die Tennisgrößen Serena und Venus Williams stehen im Zenit ihrer Karriere, als Althea Gibson stirbt, am 28. September 2003. „Ich will, dass mich die Öffentlichkeit so in Erinnerung behält, wie ich war. Stark, sportlich, klug und gesund.“

Prof. Ashley Brown © University Wisconsin, Madison

Über Althea Gibson sprach ich mit Ashley Brown, der Leiterin des Allan H. Selig Instituts für Sportgeschichte und Professorin an der Universität in Wisconsin, Madison. Anfang des Jahres 2023 erscheint ihre umfassende Biographie über Althea Gibson, an der sie zehn Jahre gearbeitet hat. „Serving herself. The Live and Times of Althea Gibson“ von Oxford University Press herausgegeben. 

Laura Freeman © Privat

Mit Laura Freeman sprach ich über die Biographie für Kinder, die 2020 beim Verlag HarperCollins erschienen ist. Megan Reid schrieb den Text und Laura Freeman illustrierte das Bilderbuch. 

Das Buchcover zeigt Althea Gibson in Sportkleidung auf einem Stuhl sitzend, Handtuch um den Hals
© HarperCollins

Empfehlenswert ist auch das Buch „Althea Gibson“ von dem Sportjournalisten Bruce Schoenfeld. 2003 ist es in den USA erschienen, 2021 auf Deutsch. Wenn auch nur ein Name im Titel zu lesen ist, handelt es sich um eine Doppelbiographie über Althea Gibson und Angela Buxton, einer jüdischen Tennisspielerin aus England. Die beiden gewannen zusammen in Wimbledon das Damendoppel und sie verband eine enge Freundschaft.

Sebastian Münster

1552- 470. Todestag des Geographen und Hebraisten

Titelbild

Christoph Amberger: Der Kosmograph Sebastian Münster (1488-1552). © Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin. Foto: Jörg P. Anders

26.5.2022

WDR 5: 9.45 Uhr/ WDR 3: 17.45 Uhr

Der Link zum Podcast

Der Einhundert DMark-Schein war mehr als Geld wert. Die Banknote zierte das Portrait des Humanisten Sebastian Münster. Schwarzes Barrett auf weißen Haaren. Der Kragen bestickt, der Überrock mit Pelz belegt. Garantiert fälschungssicher. 

Sebastian Münster ist 64 Jahre alt, als das Portrait entsteht, ein Gemälde in Öl auf Lindenholz, gemalt von Christoph Amberger (siehe Titelbild). Wenige Zeit später starb er an den Folgen der Pest, am Morgen des 26. Mai 1552. Zu Lebzeiten hatte er sich vor allem als christlicher Hebraist einen Namen gemacht. Er rekonstruierte die Urtexte der Bibel, verfasste eine hebräische Grammatik und ein aramäisches Lexikon, übersetzte die Grammatik des jüdischen Hebraisten Elijah Levita (siehe Blogeintrag vom 13.2. 2019).

Holzschnitt von Ingelheim am Rhein aus dem Jahre 1540 mit Stadtmauer, Häusern und der Kaiserplatz Karls des Großen
Holzschnitt in der Cosmographia: Sebastian Münsters Geburtsort Ingelheim am Rhein. © Gemeinfrei

Mit Ende 50 stand Sebastian Münster im Zenit seiner Karriere, als er den Posten des Rektors an der Universität in Basel erhielt. In seiner knapp bemessenen Freizeit widmete er sich einem sechsbändigen Werk, für das er heute noch berühmt ist, der Cosmographia. 1544 erschien die erste Auflagere Beschreibung der ganzen Welt, mit vielen Illustrationen und Landkarten. 1552 erschien die Cosmographia auf Französisch. Im Mai desselben Jahres starb Sebastian Münster in Basel an den Folgen der Pest.

Über Sebastian Münster sprach ich mit dem Historiker Philip Hahn und mit der Theologin Melanie Lange. Es geht unter anderem um Münsters Europabild und seine höchst ambivalente Beziehung zum Judentum.

Der Schauspieler Thomas Anzenhofer liest aus der Kosmographie von Sebastian Münster und aus einem Brief von Elijah Levita an seinen christlichen Kollegen.

Der Historiker Philip Hahn vor einem Fachwerkhaus in Tübingen © Klaus Gimmler
Philip Hahn (Assistent im Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität Tübingen) © Foto: Klaus Gimmler

LITERATUR

Hahn, Philip: Sebastian Münster (1488-1552) IN: Böttcher, Winfried (Hg.): Klassiker des Europäischen Denkens. Friedens- und Europavorstellungen aus 700 Jahren europäischer Kulturgeschichte. Nomos Verlag Baden-Baden 1/ 2014. S. 123-130) 

Lange, Melanie: Ein Meilenstein der Hebraistik. Der „Sefer ha-Bachur“ Elia Levitas in Sebastian Münsters Übersetzung und Edition. Evangelische Verlagsanstalt. Leipzig 2018

Farbholzschnitt der Deutschlandkarte aus dem Jahr 1540. Die Nordsee befindet sich im "heutigen" Süden
Germaniae Tabula (Basel 1540) von Sebastian Münster/ Holzschnittkarte. Die Karte ist noch nicht „genordet“, d.h. Süden ist oben und Norden ist unten. Das war zu dieser Zeit die übliche Darstellung © Gemeinfrei

Münster, Sebastian: Cosmographia. Beschreibung aller Lender durch Sebastianum Munsterum. In welcher begriffen Aller Völcker/ Herschafften/ Stetten/ und namhafftiger flecken/ herkomen.Sitten/ gebreüch/ ordnung/ glauben/ secten und hantierung/ durch die gantze welt/ und fürnemlich Teutscher nation. Was auch besunders in iedem landt gefunden/ unnd darin beschehen sey. Alles mit figuren und schönen landt taflen erklert/ und für augen gestelt. Getruckt zu Basel durch Henrichum Petri. Anno 1544 (M.D. XLiiii)

League of Nations

1922: Internationale Konferenz des Völkerbundes zum Thema Esperanto

Eine Sprache für Alle

18. April 2022

WDR 5, 9.45 Uhr

WDR 3, 17.45 Uhr

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die klassizistische Fassade vom Palais Wilson in Genf © GenéveTourisme
Tagungsort Palais Wilson, heute UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte © GenéveTourisme Foto: Olivier Miche

Am 18. April 1922 reisen Schul- und Regierungsvertreter:innen aus fast 30 Ländern nach Genf. Der Völkerbund hatte die Internationale Konferenz einberaumt, um über Esperanto zu diskutieren. Esperanto, eine Plansprache, die in den 1920er Jahren in voller Blüte steht. Menschen auf der ganzen Welt besuchen Esperanto-Kurse. Vereine werden gegründet, Tagungen organisiert.

Portrait von Inazō Nitobe in schwarz weiß
Inazō Nitobe © The Eastern Culture association Foto: NN

Ein prominenter Fürsprecher der Bewegung ist der stellvertretende Generalsekretär des Völkerbundes Inazō Nitobe (1862-1933), in Japan als Sohn eines Samurai geboren. Der in Halle an der Saale promovierte Agrarwissenschaftler wird vom Völkerbund nach Prag geschickt, auf den 13. Esperanto-Weltkongress, der im August 1921 stattfand.

Blick auf den Hradschin, den Burgberg von Prag
Prag im Winter © CF

Inazō Nitobe verfasst einen Bericht, in dem er sich positiv über Esperanto äußert, eine, wie es die Sprachwissenschaftlerin Sabine Fiedler ausdrückt, „bewusst geschaffene Sprache“

Portrait von Ludwik Lejzer Zamenhof in Schwarz weiß aus dem Jahre 1908. Am Revers trägt er den fünfzackigen Stern, das Symbol der Esperanto-Bewegung
Ludwik Lejzer Zamenhof 1908 © Gemeinfrei Foto: NN

Auch der Initiator von Esperanto ist bei dem Weltkongress in Prag zu Gast, Ludwik Lejzer Zamenhof (1859-1917). Geboren in Białystok im Osten Polens, das damals unter der Herrschaft des russischen Zarenreiches stand, konstruiert der polnisch jüdische Arzt die internacia lingvo, die internationale Sprache. Bekannt wird sie unter dem Pseudonym, mit dem Zamenhof seine Schriften unterzeichnet: Esperanto – der Hoffende. Zamenhof verleiht der Plansprache eine klare Struktur. Lateinische Buchstaben, wenige Grundregeln, keine Ausnahmen. Die Wortstämme sind verschiedenen europäischen Sprachen entlehnt.

Teilnehmer:innen des ersten Esperanto-Weltkongresses vor dem Kongressgebäude in Boulogne sur Mer am 6.8.1905.
Boulogne sur Mer: Ludwik Zamenhof (erste Reihe, 2. v. re.) vor dem Kongressgebäude am 6. August 1905 © Gemeinfrei Foto: Henri Caudevelle

Auf dem ersten Esperanto-Weltkongress im französischen Boulogne-sur-Mer stellt Ludwik Zamenhof sein Lehrbuch vor, das Fundamento de Esperanto. In den 1920er Jahren sprechen weltweit um die eine Million Menschen Esperanto. Ihr Symbol: ein grüner, fünfzackiger Stern. Ihr Wunsch: eine gemeinsame Weltsprache, nicht anstatt, sondern neben den Muttersprachen. 

Das moderne Genf © GenéveTourisme Foto: Loris von Siebenthal

Im Januar 1920 nimmt der Völkerbund seine Arbeit auf. Eine neue Berufsgruppe bildet sich aus, internationale Beamt:innen. Laut Völkerbundssatzung dürfen erstmals auch Frauen eine Diplomatenkarriere einschlagen. Für die Globalhistorikerin Madeleine Herren-Oesch repräsentieren die Völkerbundsbeamten einen „neuen Typus Mensch“. In den zeitgenössischen Zeitungsartikeln werden sie als weltoffen und polyglott portraitiert, sagt die Direktorin des Europainstituts in Basel: „In den Texten ist zu lesen, dass sich Völkerbundsbeamte dynamisch geben, im Cabrio zum Völkerbundsgebäude fahren, ab und zu den Genfer Verkehr lahmlegen, Tennis spielen und in der Pause kurz in den Genfer See hüpfen.“ Eine politisch wache Gesellschaft, für die die Sprachenfrage von Bedeutung ist. Im Völkerbund selbst sind die Amtssprachen Französisch und Englisch. Esperanto wird ernsthaft als neutrale Alternative diskutiert. 

Am 18. April 1922 treffen sich Expert:innen und debattieren darüber, Esperanto als reguläres Schulfach einzuführen. Es gibt viele Korrespondenzen, Umfragen, Auswertungen, Berichte.

Auf einem SchwarzWeiß-Foto ist die Internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit zu sehen, während einer Plenarsitzung im Jahr 1924. Ganz rechts im Bild sitzt Inazō Nitobe. Auch Albert Einstein gehört zur Kommission (4.v.li)
Im Palais Wilson: Plenar-Sitzung (1924) der Commission international de coopération intellectuelle (v.li.) Hendrik Lorentz, Émile Borel, George Oprescu, Albert Einstein, NN, Julien Luchaire, NN, Gonzague de Reynold (am Tisch), Jules Destrée, Inazō Nitobe © United Nations Archives at Geneva Foto: NN

Schließlich befasst sich die Commission international de coopération intellectuelle (Interanationale Kommission für geistige Zusammenarbeit/ International Committee on Intellectual Cooperation) mit Esperanto, die allerdings zu keinem Ergebnis kommt. Am Ende zerplatzt der Traum an den mächtigen Ethnosprachen Englisch und Französisch. Esperanto als globale Hilfssprache ist ersteinmal vom Tisch des Völkerbundes. Doch die Sprache ist nicht aus der Welt. Sie übersteht Verfolgung und Verbot. 

Symbol der Esperanto-Bewegung: Grün: Farbe der Hoffnung/ Fünf Zacken des Sterns = die Kontinente

Im nationalsozialistischen Deutschland galt Esperanto als Waffe des Weltjudentums und geheime Sprache der Kommunist:innen. im übrigen wurden die drei Kinder von Ludwik Lejzer Zamenhof Opfer der Shoa. In der stalinistischen Sowjetunion wiederum drohten Esperantist:innen Lagerhaft, weil sie Briefkontakte zum kapitalistischen Westen hielten. Nach dem zweiten Weltkrieg wird die Sprache rehabilitiert. Doch der Kalte Krieg ruft andere Linguae Francae auf den Plan: Englisch im Westen, Russisch im Osten.

Présence Bouvier und Harald Schmitz sprechen Esperanto © CF

Heute sprechen und schreiben rund 100 000 Menschen regelmäßig Esperanto. Vielleicht wagt die Nachfolgeorganisation des Völkerbundes, die UNO, einen neuen Vorstoß. Irgendwann. Denn nach wie vor fehlt der Weltgemeinschaft eine unabhängige Weltsprache.

Portrait der Sprachwissenschaftlerin Sabine Fiedler an der Uni in Leipzig
Sabine Fiedler © Universität Leipzig Foto: Katalin Kováts

Mit Prof. Sabine Fiedler sprach ich über Plansprachen und den Esperanto-Initiator Ludwik Leijzer Zamenhof. Sabine Fiedler ist Professorin für Sprachwissenschaft am Institut für Anglistik der Universität Leipzig und Vorsitzende der Gesellschaft für Interlinguistik.

Portrait der Historikerin Madeleine Herren-Oesch am Europainstitut in Basel
Madeleine Herren-Oesch © Europainstitut Basel

Mit Prof. Madeleine Herren-Oesch sprach ich über den Völkerbund, seinen stellvertretenden Generalsekretär Inazō Nitobe und die Sprachenfrage. Madeleine Herren-Oesch ist Professorin für Neuere Allgemeine Geschichte und Globalgeschichte an der Uni in Basel und Vorsitzende des Europainstituts in Basel

Présence Bouvier und Harald Schmitz © CF

In Pulheim (Nordrhein-Westfalen) besuche ich Harald Schmitz und Présence Bouvier. Er ist Mitte 60, sie Ende 30. Er ist pensionierter Mathe- und Englischlehrer und gibt Esperanto-Kurse. Sie ist Symptothermie-Beraterin – Symptothermie befasst sich mit natürliche Methoden der individuellen Geburtenregelung – und Mutter eines dreijährigen Sohnes. Er kommt aus der Bundesrepublik, sie aus Frankreich. Beide leben in Pulheim, sprechen miteinander auf Esperanto und engagieren sich im Esperanto-Klub in Köln

Présence Bouvier und Harald Schmitz stöbern Comics, Romanen und Fachliteratur auf Esperanto. Auf dem Tisch liegen unter anderem La eta Princo von Antoine de Saint-Exypéry und mascararo anti o la morto – Maskerade. Die Memoiren eines Überlebenskünstlers von Tivadar Soros. Der ungarisch jüdische Rechtsanwalt und Schriftsteller entkam der Shoa. Mit seiner Familie floh er aus Ungarn in die USA. Sein berühmter Sohn George Soros gehört zu den rund 2000 Esperanto-Muttersprachler:innen. © CF

Karl May

Dichter und Dieb

Karl May stiehlt sich in die Rollen seines Lebens

30.3.1912: 110. Todestag des Schriftstellers Karl May

Titelbild

Villa „Shatterhand“ vom Karl-May-Hain (ehem. Obstgarten) nebst Karl May-Gedenkstein aus gesehen

30.3.2022

WDR 5, 9.45 Uhr

WDR 3, 17.45 Uhr

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Die Skulptur eines heulenden Koyoten im Garten der Villa "Shatterhand"
Kunstharz-Wolf: Teil einer Figurengruppe im Garten der Villa „Shatterhand“ © CF

Er ist Pferdedieb, Hochstapler, Kleinkrimineller, Bestsellerautor: Karl May. Seine Geschichten nennt er Reiseliteratur, ohne selbst gereist zu sein. Seine fiktiven Figuren agieren im Westen Nordamerikas und im Nahen Osten. Winnetou und Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar machen ihren Schöpfer zum Popstar.

Die zweistöckige Villa "Shatterhand" von der Karl May-Straße aus gesehen
Villa „Shatterhand“

Über abertausende von Seiten jagt Karl May sein Publikum durch den Orient und die Prärie. Geschichten, die vom kolonialen Denken der Zeit um 1900 geprägt sind und gängige Klischees bedienen wie das der „edlen Wilden“, des rechten Glaubens, des unheimlichen Orients.

Bücherregal bis unter die Decke, Globus und Landkarte der USA auf dem Tisch
Karl Mays Bibliothek mit einer Karte Nordamerikas aus dem Jahr 1874 © CF

Mit akribischer Genauigkeit nennt Karl May Ortsnamen und Gegenden von Tunesien bis Konstantinopel, beschreibt das Eindringen der Europäer in den Wilden Westen, den es nie gegeben hat, ins Land der First Peoples, so der postkoloniale Begriff für die sogenannten Indianer in den USA. Doch im Grunde genommen führt Karl May die Leserschaft tief in seine sächsische Heimat.

Ein schmales Weberhaus in Ernstthal im Erzgebirge
Grüner Putz: Das Haus, in dem Karl May zur Welt kam © CF

Im Februar 1842 geboren in Hohenstein-Ernstthal, am Nordrand des Erzgebirges, überlebte er bitterste Armut. Nach Abwegen, die ihn mehrfach ins Gefängnis brachten, folgte er schließlich seiner Berufung. Der Historiker und Direktor des Karl May-Hauses André Neubert nennt Karl May einen genialen Spinner. Er lehnt an einer Karl May-Figur, das heißt, an Old Shatterhand, den der erzgebirgische Künstler Siegfried Otto-Hüttengrund hergestellt hat. Die Skulptur hat exakt die Maße seines Vorbildes: 1,66 Meter.

André Neubert lehnt an einer Holzskulptur von Old Shatterhand, dargestellt mit Krempenhut und den Händen auf seinem Bärentöter
Aus echtem Holz geschnitzt: André Neubert und Old Shatterhand © CF

Karl May schrieb Bücher, stahl sich in viele Identitäten und hatte Erfolg. So viel, dass er sich in Radebeul nahe Dresden ein prunkvolles Haus kaufen konnte und sie auf den Namen seines Alter Egos taufte: Villa Shatterhand.

Mit goldenen Lettern steht an der weiß verputzten Fassade des Hauses in Radebeul "Villa Shatterhand"
© CF

Eine Villa mit wechselvoller Geschichte. Erst war es Wohnhaus, zu DDR-Zeiten Schulhort, heute Dichter-Gedenkstätte. Hinter dem Haus: ein verwunschener Garten, in dem zu Mays Lebzeiten Obstbäume wuchsen, Stachelbeersträucher, Erdbeeren und Rosenstöcke, die Lieblingsgewächse des Schriftstellers. Der chinesische Pavillon auf einem Kunstfelsen existiert nur noch auf Schwarz Weiß Fotos. Seit 1928 steht im Garten die Villa Bärenfett, errichtet nach einer Beschreibung in einer Erzählung von Karl May. Heute befindet sich in dem Blockhaus eine Ausstellung über indigene Völker Nordamerikas.

Die Villa Bärenfett ist ein Blockhaus im Garten der Villa "Shatterhand"
Villa Bärenfett © CF

In der Villa verbringt Karl May die letzten 17 Jahre seines Lebens, zusammen mit Emma, seiner ersten Ehefrau, später mit Klara, seiner zweiten Frau, der Witwe seines Freundes Richard Plöhn.

Auf dem Schreitisch steht eine Fotografie des Paares Karl und Klara May.
Im Rahmen: Klara und Karl May auf dem Schreibtisch des Schriftstellers © CF

Karl May spielte gern Skat und Klavier. Er war ein guter Gastgeber und brillanter Erzähler. Einer der vielen Fans, die ihn hier besuchten, war Hobbyfotograf, Alois Schießer aus Linz. Er fotografierte Karl May im Outfit von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand.

Blick durch die geöffneten Türen ins einstige Esszimmer. An der Wand hängt das Foto von Alois Schießer, der Karl May als Old Shatterhand porträtiert.
Karl May als Old Shatterhand, fotografiert von Alois Schießer © CF

Karl May wusste die „neuen Medien“ zu nutzen. Er legte sich einen falschen Doktortitel zu und inszenierte sich als gelehrter Weltreisender.

Das Sascha Schneider-Zimmer zeigt eine Kommode und das Gemälde mit zwei stilisierten Figuren, die einander gegenüberstehen.
Im Empfangszimmer mit Blick auf das Ölgemälde „Der Chodem“ © CF

Das einstige Empfangszimmer ist heute Sascha Schneider gewidmet. Er war zu Gast bei den Mays. Sascha Schneider war Maler und Bildhauer, der sich selbstbewusst als homosexueller Künstler begriff. 2014 widmet ihm das Schwule Museum Berlin eine Ausstellung.

Robin Leipold blättert in einer großen Mappe, in der die Originale der Deckelbilder liegen.
Robin Leipold © CF

Einer seiner Förderer und Freunde war Karl May. Für ihn gestaltete Sascha Schneider neue Deckelbilder für seine Reiseerzählungen. Die Originale liegen in einem Schrank, den Karl May extra anfertigen ließ. Robin Leipold, wissenschaftlicher Direktor der Villa „Shatterhand“ zeigt die symbolistischen Bildnisse. Nackte, kraftvolle Körper, androgyne Wesen. Das passt ins Bild, denn Frauenfiguren sind Karl Mays Werk ohnehin äußerst rar.

Auf dem Sofa liegt ein kleiner Handspiegel, in dem der Ausschnitt eines Frauen-Porträts zu sehen ist.
Im Klara May-Zimmer: Das Spiegelbild reflektiert ein Porträt der zweiten Ehefrau © CF

„Es gibt Hinweise darauf, dass Karl May durchaus Gender-Überschreitungen in Szene setzt“, sagt der Literaturwissenschaftler Helmut Schmiedt: „Ein Beispiel ist einer seiner Westmänner namens Tante Droll. Sie ist ein Mann, hüllt sich gern in ein Frauengewand.“ Was dem Ansehen mitnichten schadet. „Und da kommt der Panther. Da werdet Ihr sehen, was eine Frau, die ein Mann ist, zu leisten vermag“, heißt es in der Erzählung Schatz im Silbersee

Das Ölgemälde zeigt Karl May. Sein Freund, der Bildhauer Selmar Werner schuf das Porträt.
Karl May in Villa „Shatterhand“: Gemälde von Selmar Werner © Foto: Claudia Friedrich

In der Radebeuler Villa „Shatterhand“ ist Karl May gestorben, am Abend des 12. März 1912. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof in Radebeul, in einer riesigen Marmor-Gruft, die die befreundeten Paare Karl und Emma May und Klare und Richard Plöhn gemeinsam geplant hatten. Das Marmorwerk ist eine in die Nachbildung des Athener Nike-Tempels.

Neoantikes Grabmal auf dem Friedhof in Radebeul, mit antizipierenden Säulen und einem halbrunden Innenraum
Grabmal auf dem Friedhof in Radebeul © CF

Die Skulpturengruppe im halbrunden Innenraum gestaltete Selmar Werner und benannte sie als „Engel empfangen eine irdische Seele“. Richard Plöhn starb überraschend im Februar 1901 und wurde als erster in dem Grabmal beigesetzt. Elf Jahre später folgt Karl May. Vor dem Tempel stehen zwei Steinbänke, die Lehnen: Löwenköpfe. Entworfen von Sascha Schneider. 

Aus weißem Marmor gestaltete Selmar Werner die Figurengruppe im Grabmal der Paare May und Plöhn. Ein Engel küsst eine Frau auf die Stirn, während ein zweiter Engel sich unter die Menschengruppe mischt.
Figurengruppe von Selmar Werner © CF

Jetzt liegen da Karl und Klara May. Richard Plöhn wurde umgebettet, auf Veranlassung von Klara May, einer glühenden Nationalsozialistin . Als „Halbjude“ könne er nicht neben dem angeblich „arischen“ Schriftsteller liegen, den Reichskanzler Adolf Hitler so verehrte. Die NSDAP würde den 100. Geburtstag von Karl May gern ganz groß feiern… Parteimitglied Klara May reagierte prompt und entfernte den Sarg ihres ersten Mannes. Sie ließ auch Textstellen im Werk von Karl May umschreiben, glätten, entfernen. 

Die Lutherische steht einen Steinwurf entfernt der Villa Shatterhand.
Lutherkirche in Radebeul, südlich der Villa Shatterhand © CF

Gerade ist eine Historisch Kritische Ausgabe im Entstehen, die Karl May wieder im Original zugänglich macht. Freilichtbühnen inszenieren Karl Mays Reiseerzählungen in spektakulären Vorführungen, so auch im sauerländischen Elspe.

Simone und Ulf Barth sitzen auf dem heimischen Sofa und erinnern sich an ihren Besuch auf der Freilichtbühne Elspe. In der Hand halten sie eine Patrone, die da verschossen wurde.
Simone und Ulf Barth mit einer „echten“ Patrone aus dem Gewehrlauf von Winnetou © CF

Erst kürzlich besuchten Simone und Ulf Barth mit ihren beiden erwachsenen Söhnen eine Aufführung der Karl May-Festspiele in Elspe. Und junge Fantasy-Schriftsteller:innen lassen sich für ihre Romane von Karl May inspirieren. 

Wanderwege führen durch dichte Wälder bei Hohenstein-Ernstthal
Oberwald bei Hohenstein-Ernstthal: Hier versteckte sich Karl May vor der Polizei © CF

Und ich spurte mich ein, in die Landschaften, die letztendlich die Kulisse für seine großen Abenteuerromane bildeten: die Gegend seiner Geburtsstadt Hohenstein-Ernstthal im Erzgebirge, Radebeul, die kleine, reiche Stadt am Fuße der Weinberge bei Dresden, die Lößnitzgrundbahn, eine Dampflok, deren Schienenstrang fast an der Villa vorbeiführt. 

Die Dampflok an der Endhaltestelle in Radebeul Ost, kurz vor der Fahrt durch den Lößnitzgrund Richtung Moritzburg.
Lößnitzgrundbahn in Radebeul © CF

!!! SIEHE AUCH WEITERE BLOGEINTRÄGE ÜBER KARL MAY !!!

Fliehen mit Karl May

Schreibwut

Karl May Museum Radebeul

Karl May Straße 5

Wissenschaftlicher Direktor: Robin Leipold

01445 Radebeul

Blick auf die Gartentür des Fachwerkhauses in Ernsthal
Gartenseite des Geburtshauses: ein Jahrhunderte altes Weberhaus © CF

Karl May Geburtshaus

Literaturmuseum und Forschungsstätte

Karl-May-Straße 54

09337 Hohenstein-Ernstthal

Museumsleitung: André Neubert

Karl May Gesellschaft

Wasastraße 50

01445 Radebeul

Karl May-Verlag 

Bamberg Radebeul

Schützenstraße 30

96047 Bamberg

Simone und Ulf Barth betrachten ihre Trophäe, die Platzpatrone der Karl May-Festspiele in Elspe
Die Trophäe von der Naturbühne in Elspe © CF

Das Elspe Festival

Zur Naturbühne 1, 57368 Lennestadt-Elspe

LITERATUR

KARL MAY 

May, Karl: Winnetou I-III. Reiseerzählung. (Karl May-Gesellschaft (Hg.): Karl Mays Werke. Historisch kritische Ausgabe für die Karl May-Stiftung) Karl May Verlag. Bamberg 2013/ Radebeul

Karl May-Gesellschaft (Hg.): Karl Mays Werke. Historisch kritische Ausgabe für die Karl May-Stiftung. 

Schmiedt, Helmut: Karl May. Oder die Macht der Phantasie. C.H. Beck Verlag. München 2011

Schweikert, Rudi: Das gewandelte Lexikon. Zu Karl Mays und Arno Schmidts produktivem Umgang mit Nachschlagewerken. Aus dem poetischen Mischkrug. Bangert und Metzler. Wiesenbach 2002

Im Garten der Villa Shatterhand: Ein Dokument wird zum Monument. Das Buch "Durch die Wüste" erscheint als überlebensgroße Skulptur. Meine Begleiterin Katerina Katsatou sitzt auf der Bank dahinter.
Meine Begleiterin Katerina Katsatou sitzt im Garten der Villa „Shatterhand“ © CF

HÖRSPIEL

Der Orientzyklus

Hörspiel in 12 Teilen nach den Reiseerzählungen von Karl May

Regie: Walter Adler

Kara Ben Nemsi/ Karl May: Sylvester Groth

WDR. Köln 2007

Bronzebildnis in Natursteinen eingelassen: Der Karl May-Gedenkstein im ehemaligen Obstgarten gegenüber der Villa Shatterhand
Gedenkstein im Karl May-Hain © CF