Böden

Mit Füßen getreten

Kein Leben ohne Boden

WDR 5, Neugier Genügt, Feature am 5.12.2022, 10 Uhr

WDR 3, Mosaik, Talk über Böden am 5.12.2022, 8 Uhr

Link zum Podcast – Feature

Auf einer Wiese liegen welke Blätter; und in der Mitte befindet sich ein kleiner Erdaufwurf mit einem Loch.
Maulwürfe zeugen für gesunde Böden: Viele Gartenbesitzer:innen können ihr Glück nicht fassen. Dabei sollten sie jubeln. Denn die Bodenbuddler sind nur da, wo sie genug Nahrung finden, und zwar Regenwürmer & Co. © CF

Wir sind dem Boden näher als wir meinen. Die Menschen in biblischen Zeiten wussten das. Im Hebräischen wird die Nähe durch zwei Begriffe ausgedrückt: Adam, der erste Mensch, und Adamah, der Boden, die Erde. Gott schuf Adam aus Erde. Der Mensch wiederum experimentierte mit der Rezeptur und schuf Golem, einen willenlosen Kraftprotz, der seinen Schöpfer:innen gehorcht.

Michael Moses steht am linken Bildrand im Profil und hält eine Lehmfigur in der linken Hand. Mit der rechten Hand streicht er über den hals der Figur.
Der israelische Keramiker Michael Moses töpfert Golem, einen Humanoiden aus Lehm © CF

Eins ist klar: Böden und wir sind Verwandte. Bodenkundler:innen wie Sonja Medwedski und Gerhard Milbert sprechen vom Boden als ein hoch lebendiges Naturwesen, der zum Teil von den gleichen Mikroorganismen besiedelt wird wie der menschliche Darm. Wir leben nicht allein von Luft und Liebe.

Grüne Blätter stehen auf einem Feld, wobei das Feld nicht zu sehen ist. Durch die Blätter scheint die Sonne, am Horizont liegt ein schmaler Streifen Himmel.
Acker bei Schaephuysen (Kreis Kleve) © CF

Der Boden liefert uns unser täglich Brot. Doch unsere Sünden vergibt er uns nicht. Im Gegenteil, sie werden einfach für die Nachwelt gespeichert. Böden sind Bücher, die Auskunft geben über unsere Geschichte. Sie müssen nur sorgfältig gelesen werden.

Renate Gerlach steht in der Bildmitte im Halbprofil. Sie hält in der linken Hand Bodenproben, auf die sie schaut. Hinter ihr sind Erdhügel zu sehen. Am Horizont ragt ein Kirchturm in den blauen Himmel
Prof. Renate Gerlach in der Grabungsstelle, mit Bodenproben in der Hand. © CF

Wie eine Kriminologin macht sich Renate Gerlach ans Werk. Die Bodenkundlerin und Geoarchäologin lässt sich nicht täuschen.

Renate Gerlachs Hand ist in der Draufsicht zu sehen. Auf der Handfläche liegen drei Bodenproben, die sich farblich unterscheiden. Ocker, Lebkuchenbraun und dunkles Braun.
Entkalkung, Verbraunung, Verlehmung: Vom unverwitterten Löss (helles Ocker) zum neolithischen Schwarz. © CF

Renate Gerlach nimmt jeden Stein, jede Krume, jeden Farbunterschied in den Blick und rekonstruiert das gewesene Leben. In Bornheim Merten siedelten sich bereits vor 7000 Jahren jungsteinzeitliche Bäuerinnen und Bauern an und begründeten zwischen Ville und Rhein die agricultura, den Ackerbau.

Draufsicht auf den Boden. Kleine Gräser wachsen aus dem Boden. Außerdem liegen auf der Oberfläche winzige Steinsplitter.
Befunde sind zum Beispiel winzige Ziegelsplitter, Holzkohle, inkohlte Getreidehalme © CF

Bis in die 2020er Jahre wurde der überaus fruchtbare Lössboden im heutigen Bornheim Merten beackert. Auch die römische Eifelwasserleitung führte hier entlang. Nach den archäologischen Grabungen entstehen auf der Ackerfläche Ein- und Zweifamilienhäuser nebst Straßen, Parkplätzen, Versorgungsleitungen.

Im Vordergrund ist eine Bodenkante zu sehen. Rechts im Bild liegt ein mineralischer Bodenhaufen ohne Humusanteil, links im Bild aufgeschüttete Erde aus der Grube im Vordergrund. Am Horizont steht eine Halle aus Fertigbauteilen.
Eingeschossige Hallen: Für den Gewerbepark Den Ham in Krefeld Hüls muss bester Ackerboden weichen © CF

Die Menschheit muss Boden gut machen. Allein in Deutschland werden über 50 Hektar des Naturkörpers täglich zerstört. Dabei befinden sich in einer Handvoll Boden mehr Lebewesen als Menschen auf der Erde.

Böden sind unbekannte Weltstars. Und sie sind mehr als einen Dreck wert. 

Die Draufsicht zeigt Ackerboden, geprägt durch das Profil eines sehr breiten Reifens.
Jedes Jahr weicht in der Bundesrepublik um die 200 Quadratkilometer Boden dem Bau von Straßen, Gewerbegebieten, Wohnhäusern. Das entspricht in etwa der Stadt Essen. © CF

Jedes Jahr am 5. Dezember wird der Weltbodentag begangen, und das seit genau 20 Jahren. An diesem Tag verkündet die Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft den Boden des Jahres.

Gerhard Milbert steht im Profil mit dem Gesicht Richtung linke Bildseite, unter einem sehr blauen Himmel. Seinen kopf hält er nach unten geneigt, zu seinen Händen.
Dr. Gerhard Milbert © CF

Seit 2005 setzt sich das Kuratorium Boden des Jahres unter dem Vorsitz des Bodenkundlers Gerhard Milbert zusammen und prüft genau, welcher Boden Pate stehen soll. Im Jahr 2022 ist der Botschafter Pelosol, ein spezieller Tonboden. 2023 steht mit dem Ackerboden eine Nutzungsart im Fokus.

Sonja Medwedski steht hinter einem Wildrosenstrauch, an dem Hagebutten wachsen. Sie schaut in die Kamera und lächelt. Hinter ihr ist eine Zypresse zu sehen.
Natur- und Geopark Terra Vita in Osnabrück: Sonja Medwedski © CF

Böden generell haben ein gewaltiges Imageproblem, sagt die Bodenkundlerin Sonja Medwedeski. Der Boden ist halt selbstverständlich da. Und er ist so angenehm still. Doch wenn er einmal seinen Boden unter unseren Füßen wegreißt, wenn er uns seinen Staub ins Gesicht pustet, die Erde aufreißen lässt, dann ist es oft… zu spät. 

Gerhard Milbert steht in der Bildmitte auf einem Waldweg. Er schaut in die Ferne. In der rechten Hand hält er einen Spaten, in der linken Landkarten und eine Mappe. Im Hintergrund ist der Rücken eines Fahrradfahrers zu sehen.
Dr. Gerhard Milbert © CF

Gerhard Milbert lud mich zu einem Roadtrip am Niederrhein ein. Wir starteten am Gewerbepark Den Ham, machten Station an einer Kiesgrube in Kerken-Stenden und stiegen schließlich auf den Schaephuysener Höhenzug, einer Endmoräne aus der vorletzten Eiszeit.

Vom oberen Bildrand ragen zwei Hände ins Zentrum. Sie halten Sand. Die Person hockt auf sandigem Boden. Rechts im Bild wächst Heidekraut.
Sonja Medwedski bestimmt die Bodenart. Schluff ist mehlig, Ton weich wie Knete, Sand grob wie Zucker. © CF

Mit Sonja Medwedski traf ich mich in Osnabrück im Natur- und Geopark Terra Vita. Wir saßen in einer Heidelandschaft und redeten über Mittler zwischen Ober- und Unterwelt. Renate Gerlach traf ich auf einer archäologischen Grabungsstelle in Bornheim Merten. Den Keramiker Michael Moses besuchte ich in seiner Werkstatt in Kall Scheven.

Zwei Drittel des Bildes dominiert ein strahlet blauer Himmel, das eine Drittel am unteren Bildrand zeigt Felder, eine Baumreihe. Am Horizont sind Windräder und eine Kirchturmspitze zu sehen.
Schaephuysener Höhenzug: Blick vom Rand der Stauchendmoräne in Richtung Westen © CF

www.boden-des-jahres.de

Kuratorium Boden des Jahres. Vorsitz: Gerhard Milbert

Die linke Hand dominiert das Bild. Sie hält eine Scholle Erde, bräunlich ockerfarbenen Löss. Die rechte Hand hält ein Messer, das auf den kleinen Brocken Erde weist.
Flugschluff, herangeweht in der letzten Eiszeit. Gerhard Milbert hält fruchtbaren Löss in der Hand. © CF

Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft

BonaRes-Zentrum für Bodenforschung

Bundesverband Boden e.V.

Ein Grabungsprofil zeigt verbraunte Erde, die über unverwitterten Löss steht.
Grabungsprofil in Bornheim Merten: Farbunterschiede geben Aufschluss über Leben vor Jahrtausenden © CF

LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland

Renate Gerlach (Geoarchäologin)

Das Buchcover stellt Boden dar, in dem ein Fußabdruck zu sehen ist. Mit weißen Lettern steht über dem Fußabdruck "Die Stimme des Bodens"

Sonja Medwedski (Bodenkundlerin)

Michael Moses beugt sich aus dem rechten Bildrand über seine Töpferscheibe. Er töpfert einen hohlen Zylinder, der aus dem unteren Bildrand ragt.
Michael Moses arbeitet mit Lehm aus dem Westerwald © CF

Töpferei Michael Moses

Pelosol

Boden des Jahres 2022

WDR 3 Mosaik am 6.1.2022, 8 Uhr

Der Hammer: Steffen Meier (re.) und Assistent Eric schlagen einen Hohlmeißelbohrer (Pürckhauer) in den Boden © CF

Wie können wir Boden gut machen, indem wir Füße drauf setzen, keine Einfamilienhäuser, Straßen, Monokulturen, Megastädte, Autokonzerne…

Die Biopsie: Zwei Meter Boden im „Pürckhauer“ © CF

Seit 2005 gibt es den Boden des Jahres, ausgelobt von der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft. Wie nötig das ist, zeigen zahlreiche Berichte von verschiedenen Organisationen, unter anderem von Bündnis 90/ Die Grünen, der UNO, Brot für die Welt.

Die Analyse: Per Hand werden Böden gefühlt und geknetet, wie hier der Pelosol © CF

Allein in Deutschland werden bis zu 70 Hektar Boden täglich zerstört. Weltweit entstehen zigtausende Hektar Wüste. Für Agro-Sprit, Tierfutter und Hotels werden krumme Landdeals gemacht, Menschen von ihren fruchtbaren Böden vertrieben. Dabei befinden sich in einer Handvoll Boden mehr Lebewesen als alle Menschen auf der Erde.

Die Schürfgrube: Steffen Meier (Bodenkundler) erstellt Karten für Förster:innen © CF

Böden sind vergessen und verloren. Insofern ist der Boden des Jahres mehr als einen Dreck wert. In diesem Jahr fällt die Wahl auf den Pelosol, was auf Griechisch und Latein Tonboden heißt, hat es in sich. Entweder viel Wasser oder tiefe Risse. Entweder quillt er auf oder sackt zusammen, ist butterweich oder beinhart. Ein Boden mit Ecken und Kanten. Vor allem im süddeutschen Raum, in Nordbayern, am Oberrhein, im Schwarzwald sind Pelosol-Böden anzutreffen.

Der Fund: Pelosol-Braunerde ist eingewandert © CF

Per Zufall findet Steffen Meier (Geologe, Bodenkundliche Landesaufnahme beim Geologischen Dienst NRW) ein schmales Pelosol-Braunerde-Band im Raum Altenbeken (Westfalen).

Am Hang: Der Weg, den die Fließerde nahm © CF

Vor rund 10 000 Jahren, während der letzten Kaltzeit, gab es im Eggegebirge Permafrost. In warmen Perioden taute der Pelosol auf, wurde zu Brei und kroch den Hang herunter. Jetzt liegt auf einer Höhe von 25 und 70 Zentimetern.

Das Zeitfenster: Das Bodenprofil führt uns in eine Jahrmillionen alte Vergangenheit © CF

Wie ein Naturgemälde offenbart das Bodenprofil die verschiedenen „Horizonte“. Ganz oben liegen Blätter und Äste, in der Mitte das Gemisch aus Pelosol und Braunerde, ganz unten der Schluff, ein Boden, dessen Vorfahren aus dem Meer stammen, das die Gegend bedeckte, vor rund 400 Millionen Jahren.

Der Kümmerer: Assistent Eric zeigte mir, auch nur ein Bein auf der glitschigen Erde zu halten. © CF

Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht und gleich erst einmal auf den Hosenboden gesetzt, mitten hinein in den Boden des Jahres 2022. Schlamm drüber!

Boden des Jahres 2021

Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft