Josip Broz Tito

Revolutionär und Lebemann

Die vielen Rollen des jugoslawischen Staatsoberhaupts

WDR am 16. Mai 2024

WDR 5: 9.45 Uhr/ WDR 3: 17.45 Uhr

LINK ZUM PODCAST

Josip Broz Tito. Sein Name steht für Bildung, Arbeit, Wohlstand, Reisefreiheit, internationales Ansehen. Einerseits. Andererseits steht sein Name für Diktatur, Verfolgung Andersdenkender, Einparteiensystem, Restriktionen. 

Tito ist Staatschef im sozialistischen Jugoslawien. Nach dem Zweiten Weltkrieg zieht er ein Regime im Sinne der Sowjetunion auf. Ende der 1940er Jahre sagt er sich von Josef Stalin los und führt einen milderen Sozialismus ein. Die Menschen dürfen reisen, private Unternehmen führen und im Ausland arbeiten.

Prof. Marie-Janine Calic © Minda de Gunzburg Center for European Studies/ Harvard University

Doch es verbat sich, die rote Linie zu überschreiten, sagt Marie-Janine Calic (Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte an der Universität München): Das sozialistische System und das geeinigte Jugoslawien hatte niemand anzuzweifeln.

Im Zweiten Weltkrieg kämpft Tito als Partisan gegen die deutsche Wehrmacht. Er führt seine Truppen in einen fast aussichtslosen Volksbefreiungskampf. Doch am Ende siegen die Kämpfer und Kämpferinnen gegen einen brutalen und übermächtigen Feind. Knapp zehn Jahre später schafft es Tito, auch Josef Stalin und dem Ostblock eine Absage zu erteilen. Sein sozialistischer Völkerbund ist blockfrei und wird zur dritten Kraft, ein Scharnier zwischen Ost und West. Marie-Janine Calic: „Eine dritte Kraft, die sich durchaus auf Ebene der UNO und in der Weltpolitik eine Stimme hatte.“.

Am 4. Mai 1980 stirbt Tito. Zehn Jahre später bricht sein Lebenswerk zusammen. Jugoslawien verblutet in einem vierjährigen Krieg. 1995 sind 200 000 Menschen tot und Millionen auf der Flucht. 

Gegenwärtig beobachtet Marie Janine Calic eine Art Titostalgie. Bands spielen Jugo-Pop. In Souvenirläden gibt es jugoslawische Flaggen, Abzeichen, Tito-Büsten, Tito-Tassen. Und es gibt Tito-Cafés, in denen warmer Topfenstrudel serviert wird.

Topfenstrudel a la Tito © CF

Tito selbst kochte gern die Rezepte seiner Mutter. Tito wuchs in einer armen, kinderreichen Familie in Kumrovec auf, einem kleinen kroatischen Ort an der slowenischen Grenze. Seine Mutter kochte einfache Speisen wie den kroatischen Topfenstrudel.

In ihrem Buch Gerichte, die die Welt veränderten veröffentlicht Sarah Wiener das Rezept a la Tito; und sie liefert die Geschichte dazu. Zum Beispiel, dass er den Strudel Sophia Loren auftischt, in seiner Sommerresidenz auf der kleinen Adriainsel Vanga. In den Genuss kommen viele Promis aus der ganzen Welt wie Josephin Baker, Richard Burton, Willy Brand.

Oliver Krampitz gestaltet den Teig © CF

Profikoch Oliver Krampitz bäckt den Strudel nach und bewirtet Gäste aus der Nachbarschaft. 

Christina Levy (Pseudonym) © CF

Auch Christina Levy kennt den Topfenstrudel. Das Gebäck ist mit ihrer frühen Kindheit in Jugoslawien verbunden. Christina Levy ist in Alexandria geboren, als Tochter eines serbischen Ingenieurs, der während des zweiten Weltkrieges in der britischen Luftwaffe dient und in Ägypten stationiert ist. Ihre Mutter ist in Alexandria geboren. Sie ist die Tochter einer Familie, die aus Montenegro stammt und in Ägypten lebt. Christina Levys Eltern lernen sich in der ägyptischen Hafenstadt kennen und lassen sich nach dem Krieg in Jugoslawien nieder. Unter Tito wird der Vater verhaftet. Er wollte des Nachts nach Italien fliehen. Doch die Geheimpolizei ist schneller. Der Vater wird verurteilt und leistet Zwangsarbeit. Jahre später migriert die Familie nach Kanada. 

© CF

Ein Chronist des Systems Tito ist Slavko Goldstein, einst Partisan, später Publizist, aufgewachsen in einem jüdischen Elternhaus. Sein Buch 1941. Das Jahr, das nicht vergeht (in der Übersetzung der Schriftstellerin Marica Bodrožić) ist ein berührendes und erschütterndes Zeugnis der Verbrechen, die unter der deutschen und italienischen Besatz begangen wurden, die aber auch die faschistische Ustascha in Kroatien und die Partisanen nach dem Krieg verübten.

Oli Krampitz rollt Teig und Füllung zum Strudel © CF

Im ZeitZeichen kommen zu Wort: die Geschichtsprofessorin Marie-Janine Calic und Christian Levy (Ihr Name ist ein Pseudonym. Ihren wirklichen Namen behält sie für sich).

Oli Krampitz bäckt den Strudel aus dem Kochbuch von Sarah Wiener. Und die Gäste schwelgen in der durchaus ambivalenten Jugo-Nostalgie.

Lidija Mihalj © Privat

Die kroatischen Originaltexte spricht Lidija Mihalj.

LITERATUR

Calic, Marie-Janine: Tito. Der ewige Partisan. Verlag C.H. Beck. München 2020

Calic, Marie-Janine: Geschichte Jugoslawiens. Verlag C.H. Beck. München 2018

Goldstein, Slavko: 1941. Das Jahr, das nicht vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan. Aus dem Kroatischen: Marica Bodrožić. (Godina koja se vraća) S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2018

Wiener, Sarah: 1969. Josip Broz Tito. Der Topfenstrudel, den der jugoslawische Staats-Chef der Schauspielerin Sophia Loren servierte. IN: Gerichte, die die Welt veränderten. S. 209-216). Edition a. Wien 2018

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..