Kant & Kunst

Die Geschmacksurteile des Immanuel Kant 

WDR 3 MOSAIK, 25.4.2024, 6 Uhr und 8.40 Uhr

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In der Kritik der Urteilskraft entwirft Immanuel Kant eine eigene Kunsttheorie. Das Werk erscheint 1790, in einer Zeit, als Ästhetik ein angesagter Gesprächsstoff ist, in Tischgesellschaften, unter Gelehrten. Was ist schön? Was ist hässlich?

Welches Urteil würde der galante Magister über die Graphic Novel fällen? Jörg Hülsmann „vercomict“ Leben und Werk des Philosophen. Gedeckte Farben. Großformatige Bilder. Zitate von Zeitgenossen. Kurze Erläuterungen. Die Essenz der Kantischen Theorien. Auch der Kritik der Urteilskraft ist ein Teil gewidmet.

Im dritten seiner kritischen Werke kommen wir dem Ästhetiker Kant sehr nahe. Es geht nicht um Erkenntnis, nicht um Moral, nicht um Zerstreuung. Es geht um das Schöne in Natur und Kunst. Den Gesang von Vögeln zum Beispiel beurteilt Immanuel Kant als schön. Für ihre Stimmen hatte er eindeutig mehr übrig als für die menschlichen Singstimmen.

Dr. Achim Vesper © Foto: Lecher/ Rechte: Goethe Universität

Die Kritik der Urteilskraft enthält in dem ersten Teil, der der Ästhetik gewidmet ist, zunächst eine Theorie des Naturschönen, gefolgt von einer Theorie des Kunstschönen. Das eigentliche Herz liegt in Kants Theorie des Naturschönen. (Dr. Achim Vesper)

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Natur bringt Gebilde hervor, die in sich zweckmäßig sind, zweckmäßig im Sinne von harmonisch auf einander abgestimmt, äußerlich aber ohne Zweck erscheinen. Die Natur ist letztlich auch die Lehrmeisterin der menschengemachten Kunst. Schöne Kunst ist Kunst des Genies, schreibt Immanuel Kant. Ihre Schöpfer, Frauen hatte er ohnehin nicht im Blick, betrachtet er als Talente, Genies, ausgestattet mit Naturgaben, durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt. Mit seiner Theorie des Genies beeinflusst Kant die nachfolgenden Generationen, gewissermaßen bis heute. 

Eine Naturschönheit ist ein schönes Ding; die Kunstschönheit ist eine schöne Vorstellung von einem Dinge. (Immanuel Kant)

Und wie kommen wir zu unseren Geschmacksurteilen? Wie erkennen wir, was schön und was hässlich ist? 

In der Miniatur gibt’s ne Antwort 😉. Kants Stimme verkörpert der Schauspieler Nils Kretschmer.

Mein Gesprächspartner ist der Philosoph und Kant-Experte Achim Vesper, Mitautor des Buches Kants Philosophie, erschienen beim Verlag C.H. Beck Wissen. 

Durch den Beitrag pfeift sich ganz frech ne Gartengrasmücke. Der kleine Vogel habe auch jedes Frühjahr in der Nähe von Kants Fenster gepfiffen. So berichtet es Johann Gottfried Hasse, einer der ersten Biographen Kants. Ein kleines Detail, das ich in der Graphic Novel Kant von Jörg Hülsmann lesen konnte. Außerdem empfehle ich sehr Claudia Blösers Band Kant 100 Seiten, erschienen beim Reclam Verlag.

LITERATUR

Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. (Hg. Gerhard Lehmann). Reclam Verlag. Stuttgart 2024

Blöser, Claudia: Kant. 100 Seiten. Reclam Verlag. Stuttgart 2024

Gava, Gabriele/ Vesper, Achim: Kants Philosophie. Verlag C.H. Beck Wissen. München 2024

Hülsmann, Jörg: Kant. Vom Aufbruch der Gedanken. Graphic Novel. Knesebeck Verlag. München 2024

Willaschek, Markus: Kant. Die Revolution des Denkens. Verlag C.H. Beck. München 2023

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Mythos Kirsche

Von allen Geistern besessen

Mythen und Legenden um einen Baum, der Blüten treibt und Früchte hervorbringt, die es in sich haben

SWR 2 Matinee am 17. März 2024 zum Thema „Die Kirsche“ (9 bis 12 Uhr)

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Kirschblüte © CF

Ist mit Geistern gut Kirschen essen? Noch dazu, wenn der Baum selbst von ihnen besessen ist… Um Kirschenbäume ranken sich viele Mythen. Sie sind magisch, göttlich und ambivalent. Folgen wir den Märchen und Legenden, sind Kirschenbäume Dialektik pur.

Selma Scheele, Erzählerin ( https://www.maerzeit.de) © CF

Kirschen sind mit dem Tod im Bunde, aber auch mit dem Leben. Sie sind süß und haben doch eine Bitternote. Im Sterben sind die Blüten verschwenderisch schön… Wenn das nicht unheimlich ist. Kirschen sind mit sich und uns im Reinen, stehen aber auch für Sünde, zumindest in den Augen der Kirchenmänner. Sie wissen die Früchte nicht anders zu deuten. Kirschenbäume wachsen im Paradies. Auf ein Blatt des Kirschbaums soll Jesus das Weltende notiert haben.

Der Kirschbaum, erzählt von Selma Scheele © CF

Eine der vielen Geschichten lasse ich mir von Selma Scheele erzählen. Die Storytellerin hat sie extra aus ihrer reichen Schatzkiste herausgeholt.

Kerstin Rosemann © CF

Ich spreche mit Kerstin Rosemann über ihre Erinnerungen an die Barbarazweige, die ihre Familie in die Vase gestellt hat, im Winter. Sie erinnert sich an den Kirschbaum im Garten, von dem die Zweige stammen.

Heilige Barbara mit vier Szenen aus ihrem Leben. Eitempera auf Holz (Russland, 18. Jhd.) © Ikonenmuseum Kampen (NL)

Immer am 4. Dezember schnitten die Eltern ein paar Zweige ab. 20 Tage später, pünktlich zu Weihnachten standen die Zweige in voller Blüte. Die Barbarazweige erinnern an die Märtyrerin aus Nikomedia, dem heutigen Izmit in der Türkei. Der 4. Dezember ist ihr Namenstag. Ihre Vita ist auf Ikonen zu sehen.

Heilige Barbara mit zwölf Szenen aus ihrem Leben. Eitempera auf Holz (Russland, 19. Jhd.) © Privatsammlung (NL)

Zwei Ikonen hängen in der Sonderausstellung über heilige Frauen. Beide Ikonen stammen aus Russland und sind in einer Sonderausstellung zu sehen, bis zum 17. März 2024 im Ikonenmuseum Recklinghausen. Ab April 2024 wird Ikona im niederländischen Kampen gezeigt.

Es gibt ein Feature über die Ausstellung Ikona.

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Kirschblüten regnen,

in den Ästen

ein Tempel Yosa Buson. Kyoto. 18. Jahrhundert

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Kengo Kuma

Onomatopoetische Architektur

Titelbild: Modell des Wooden Bridge Museums © CF

WDR 3, Mosaik, 8. März 2024, 8 Uhr

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Para Para (Körper/ Leere): Wooden Bridge Museum (2011) in der Provinz Kochi © Kengo Kuma and Associates

Kengo Kuma ist ein weltweit gefragter Architekt. Seine Werke stehen in vielen Ländern der Erde. Er schafft Mehrzweckbauten, Brücken, Museen, Teehäuser, das Nationalstadion in Tokio (2020). 

Kengo Kuma is globally a well known architect. His works can be found in many countries around the world. He creates multi-purpose buildings, bridges, museums, teahouses, the national stadium in Tokyo. 

Pata Pata (Licht/ Verflechtung): Blick ins Modell von Kodama.

Kein Leim, keine Schraube hält die Puzzleteile zusammen. Allein Holz und Handwerk. Das Modell zeigt eine Kugel, die sich aus Holzpuzzeln zusammensetzt. Über dem Modell hängt ein Foto von dem vier Meter hohen Pavillon. Der Miniglobus steht in Italien, im Arte Sella-Park

No glue, no screws hold the puzzle pieces together. Only wood and craftsmanship. The model shows a sphere made up of wooden puzzles. A photo of the four-meter-high pavilion hangs above the model. The mini globe is located in Italy, in the Arte Sella Park.

Über den Modellen hängen großformatige Fotografien. Zu sehen sind Kodama und das Même-Haus. © CF

Bei der Architekturbiennale 2023 in Venedig bespielte Kengo Kuma den Palazzo Cavalli-Franchetti. Er stellte rund dreizehn Modelle seiner berühmtesten Bauten aus. Allen Modellen liegt ein Klang zugrunde, Onomatopoesie, was soviel bedeutet wie Lautmalerei. Jetzt ist die Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen, unter dem Titel Onomatopoeia Architecture.

Kengo Kuma presented the Palazzo Cavalli-Franchetti at the 2023 Architecture Biennale in Venice. He exhibited around thirteen models of his most famous buildings. All the models are based on a sound, onomatopoeia. The exhibition can now be seen at the Bundeskunsthalle in Bonn under the title Onomatopoeia Architecture.

Der japanische Architekt Kengo Kuma © J. C. Carbonne

Kengo Kuma bat ich um ein kurzes Statement. Ein Architekten-Kollege stellte ihm die Fragen irgendwo unterwegs im Auto. Und ich besuchte die Ausstellung, als sie noch im Aufbau war. 

I asked Kengo Kuma for a brief statement. A fellow architect asked him the questions in the car somewhere along the way. And I visited the exhibition while it was still under construction. 

Sara Sara (Fluidität/ Weichheit): Die Restauratorin Kaśka Ktiomek reinigt den Japanischen Garten (Portland Oregon 2018). Für sie ist „Kengo Kumas Architektur Entschleunigung„.
Fuwa Fuwa (Elastizität/ Membran): Das Wohnhaus Même auf den Memo Meadows (Hokkaidō/ 2011) © CF

Das Même-Haus steht auf der nördlichsten Insel Japans, auf Hokkaidō, der Heimat der indigenen Ainu. Kengo Kumas Entwurf bezieht sich auf die traditionelle Baukultur. Er setzt auf Nachhaltigkeit und leichte Baustoffe. Beton sei das Material des 20. Jahrhunderts. Das 21. Jahrhundert verlangt weniger Härte, weniger Höhe, viel mehr Licht und Atem. 

The Même House is located on the northernmost island of Japan, on Hokkaidō, the home of the indigenous Ainu people. Kengo Kuma’s design refers to the traditional building culture. He focuses on sustainability and lightweight materials. For him Concrete is the material of the 20th century. The 21st century demands less hardness, less height, much more light and breath.

Para Para (Körper/ Leere) Wooden Bridge Museum über eine Straße im Tal © CF

Das Modell zeigt das Wooden Bridge Museum. Der Bau steht im waldreichen Südwesten Japans, in der Provinz Kochi. Die Bauweise folgt einem klassischen, fast vergessenen Handwerk. Hunderte kleine Hölzer sind ineinander verschachtelt und führen die Last zum Mittelpfeiler. Sie bilden ein Bett, auf dem ein schmaler, langer Balken liegt, ein überdachter Korridor, das Museum. Der Holz-Pfeiler hält das Museum in der Balance. 

The model shows the Wooden Bridge Museum. The building is located in the densely wooded southwest of Japan, in the province of Kochi. The construction method follows a classic, almost forgotten craft. Hundreds of small timbers are interlocked and carry the load to the central pillar. They form a bed on which a narrow, long beam rests, a corridor with roof, which is the museum. The wooden pillar keeps the museum in balance.

Im Wooden Bridge Museum, das auch Ateliers beherbergt © Kengo Kuma and Associates

AUSSTELLUNG

Kengo Kuma. Onomatopoeia Architecture 

8. März bis 1. September 2024

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland

Helmut-Kohl-Allee 4, 53113 Bonn

KATALOG

ACP Palazzo Franchetti; Chizuko Kanarada; Roberta
Perazzini Calarota [Hrsg.]; Kengo Kuma & Associates [Hrsg.]; Bundeskunsthalle. Mailand: Kengo Kuma. Onomatopoeia Architecture. Dario Cimorelli Editore 2024

Haus Balma in Vals (Schweiz 2022): Das Dach ist mit Gneisschindeln gedeckt © CF

LITERATUR

Kengo Kuma, Philip Jodidio: Kuma. Complete Works 1988 – Today. Verlag Taschen, Köln 2021. 

WEB

Kengo Kuma & Associates

Guru Guru (Wirbel/ Tornado): The Darling Exchange in Sydney (2019) © CF

Fake Fashion

WDR 3, MOSAIK, 2. Februar 2024, 8 Uhr

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Fake Fashion ist IN. Der Handel mit falscher Markenmode boomt.

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Also nicht mehr nur der Teufel trägt Prada.

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Menschen erstehen Luxuslabel zum Spottpreis. Oft sind die Imitate von ihren Vorbildern kaum mehr zu unterscheiden. Die falsche Mode ist eine echte Alternative. Gründe gibt’s genug.

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Doch ist fake fashion wirklich cool? Ja, wenn sie aus dem Atelier von Dapper Dan kommt. In den 1980er Jahren kreiert der afroamerikanische Modedesigner im New Yorker Stadtteil Harlem Klamotten aus Versatzstücken von High Fashion. Der HipHop umgibt sich mit dem Glamour und nimmt Label und Luxus auf die Schippe.

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Immer mehr und immer Jüngere entscheiden sich bewusst für gefälschte Markenkleidung. Besuchen Internetplattformen und Flohmärkte. Zum Beispiel im Norden von Paris. An einem Stand handelt ein junger Mann mit Fake Fashion. Von dem Gewinn kauft er Waffen. Mit den Waffen erschießen er und sein Bruder zwölf Menschen. Im Januar 2015, in Paris, bei dem Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Und das ist kein Einzelfall. Fake Fashion: ein lukratives Geschäft, um den Terrorismus zu finanzieren.

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Dabei wollen die Käufer:innen nichts weiter als ihre Lieblingsmarke tragen, wollen cool sein, dazugehören. Doch auch das hat einen Haken. 

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Ein Mann steht in der S-Bahn, als Kontrolleure kommen: „Hätte ich eine Jogginghose an und eine Gucci-Imitat-Tasche, würde sie meinen Fahrausweis sehen wollen.“ 

Eine Person of color lässt ihre Kinder nicht mit fake fashion in die Schule gehen. Sie würden ein „scheinbares“ Klischee befeuern und noch mehr auffallen, als sie es ohnehin schon tun.

Sie reden über Fake & Flex © CF

Meine Interviewpartnerinnen steuerten die beiden Erzählungen und noch weitere Erfahrungen bei.

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Wir saßen zusammen mit ein bisschen Marke und ganz viel No Name-Fashion am Leib. 

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Spitzhüte

Sinnbild des Stigmas und Zeichen des Zaubers

SWR 2 Matinee am 10.12.2023 Thema Spitze, 9 bis 12 Uhr

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Dresscode in der Zauberwerkstatt der Sonderausstellung „Besen! Besen! Seid’s gewesen“ im Bilderbuchmuseum in Burg Wissem (Troisdorf)

Eine Hexe ohne Spitzhut ist keine Hexe. Das zumindest suggeriert der Bilderrausch, den die Kunstgeschichte über Hexen hervorgebracht hat. Auch die Magier sind erst mit konischem Kegel auf dem Kopf wahre Zauberer. Nur woher kommt dieses modische Detail?

Goldhut von Ezelsdorf-Buch, 11. bis 8. Jahrhundert v. Chr. Rechte: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Foto: Monika Runge 

Kommen die Wunderkegel vielleicht von den langen Hüten aus purem Gold, Fundstücke, die Rätsel aufgeben. Vermutlich Insignien eines Kalenderkults aus der Bronzezeit. 

Eine Dame trägt den Hennin © Creative Commons Zero (CC0)/ https://de.dreamstime.com/cc0images_info

Stammen die Spitzhüte der Hexen und Zauberer vom Hof des französischen Kaisers Karl VI.? 1235 initiiert seine deutsche Gemahlin Isabella von Bayern eine neue Mode, den sogenannten Hennin, heißt es. Aus Metall, Pappe, Leinen, überzogen mit feinsten Stoffen und behängt mit herabfallenden Seidenschleiern. Dass sie sich von Orient inspirieren ließ, zeigt das Wort. Hanîn stammt aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie lieblich tönend. Je höher der Kegel, um so bedeutender die Trägerin. 

Die Freiheit führt das Volk (Öl auf Leinwand/ Maler: Eugène Delacroix) Rechte: Musee du Louvre

Vielleicht stammen die Kopfbedeckungen auch von der phrygischen Mütze ab. Eine Zipfelmütze, deren Spitze nach vorn abknickt. Eine berühmte Trägerin ist Marianne, die Heroin der Französischen Revolution, auf den Barrikaden, von Leichen umgeben, zu sehen auf dem Gemälde von Eugène Delacroix mit dem Titel Die Freiheit führt das Volk. Bereits in der Antike ist die legendäre Kopfbedeckung Symbol der Rebellion, des Widerstands, des illegalen Tuns. Die phrygische Mütze stammt aus Kleinasien, das in der Antike Phrygien hieß.

Die drei Magier aus dem Osten mit phrygischen Mützen auf einem Mosaik aus dem 6. Jahrhundert in der Basilika Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna © wikimedia

Berühmtheiten trugen die phrygische Mütze: Der trojanische Prinz Paris. Mithra, der Gott des Rechts. Die kriegerischen Amazonen, die drei Weisen aus dem Morgenland, der Heilige Nikolaus, der von Kleinasiens Küste stammt. Seit dem 19. Jahrhundert ist er in Europa nicht mehr ohne phrygische Mütze zu sehen, als aus dem sakralen Bischof ein säkularer Wundertäter wurde. Mütze statt Mitra.

Die phrygische Mütze sitzt fest auf den Köpfen von Nikolaus, Weihnachtsmann, Wichtel & Co © CF

Aus dem Heiligen Ostroms wurde ein Weihnachtsmann, Gartenzwerg, Schlumpf, der böse Struwwelpeter-Niklas. Nur die Kopfbedeckung erinnert an die Herkunft in Kleinasien. 

Naomi Lubrich © Foto Alliya Oppliger

Naomi Lubrich, die Leiterin des Jüdischen Museums der Schweiz sieht in den Judenhüten den Ursprung: „Zauberer und Hexen mit spitzen Hüten sind heute in unserer Bildkultur verankert. Der historische Judenhut allerdings ist in Vergessenheit geraten.“ Mit einem Kirchen-Erlass beginnt die Tradition des Judenhuts.

Codex Manesse (14. Jhd.) Der Minnesänger Süßkind von Trimberg (re. im Bild) trägt einen Judenhut © Gemeinfrei

Seit Mitte des 13. Jahrhunderts tragen jüdische Männer Hut mit Krempe und einem Knauf, der sich über dem Scheitel erhebt. Ein Mode-Accessoire wird zum Merkmal Diskriminierung. Der Judenhut, ein antijüdisches Symbol.

Siegel der jüdischen Gemeinde Augsburg, 1298: Das Siegel zeigt den kaiserlichen Adler und den Judenhut © Gemeinfrei

Die Diskriminierung endet in Verbrennung und Vertreibung der jüdischen Männer, Frauen, Kinder. Ganze Gemeinden werden Opfer von grausamen Pogromen. Die Spitzhüte wandern auf die Köpfe der Zauberer, sagt Naomi Lubrich, und die damit verbundene Diskriminierung, denn Zauberer sind der Kirche ein Dorn im Auge. Und die Kopfbedeckung der weiblichen Magier? „Meine Vermutung ist, dass sich die Hexenhüte aus den Spitzhüten der Zauberer herleiten.“

Harry Potter und der The Sorting Hat (aus der Fantasy-Buchserie von Joan K. Rowling)/ Illustrationen der deutschsprachigen Ausgabe stammen von Sabine Wilharm. Dieses und andere Originale sind im Bilderbuchmuseum in Troisdorf zu sehen © CF

Ob die Herkunft der Hexen- und Zauberhüte in den Judenhüten liegt, ist nicht restlos geklärt. Die Forschung entwickelt verschiedene Theorien. Vieles bleibt ein Rätsel. Der Kopfputz der magischen Stars steht in den Sternen. Wen wunderts? 

Der Zauberlehrling (Text: Johann Wolfgang von Goethe/ Illustrationen: Sabine Wilharm) Originalzeichnung in der Sonderausstellung in Burg Wissem © CF

Ich besuchte das Bilderbuchmuseum in Burg Wissem. Eine Sonderausstellung widmet sich Hexen und Zauberern unter dem Titel Besen! Besen! Seid’s gewesen. 

Pauline Liesen?! © CF

Museumsdirektorin Pauline Liesen zeigt sich von einer sehr wunderlichen Seite. Sowas passiert, wenn der Arbeitsplatz ein Märchenschloss ist. 

Bestattung Josuas, eine Miniatur in der deutschsprachigen Weltchronik des Dichters Rudolf von Ems (Prag), Nach 1350. Hochschul- und Landesbibliothek Fulda © Gemeinfrei

Naomi Lubrich spricht über den Judenhut. Zum Thema Judenhut schrieb sie ein Essay, das in Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart veröffentlicht wurde. Jalta ist eine Zeitschrift, die halbjährlich beim Neofelis Verlag erscheint.

Jüdisches Museum der Schweiz 

Kornhausgasse 8. 4051 Basel

Pauline Liesen steht an der Remise der Burg Wissem © CF

Burg Wissem – Bilderbuchmuseum

Burgallee 1. 53840 Troisdorf

Ausstellungen

Sabine Wilharm. Illustrationen 

5.11.2023-18.2.2024

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Besen! Besen! Seid’s gewesen.

Von Hexen und Zauberern

4.11.2023-21.4.2024

Ausstellungsplakat © CF

Katalog

Liesen, Pauline (Hg.): Sabine Wilharm. Illustrationen. Burg Wissem. Bilderbuchmuseum. Stadt Troisdorf 2023

Artikel

Lubrich, Naomi: Der Judenhut. Ein Bilderessay (IN: Ver/un/einigung. Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart. Ausgabe Nr. 06. Neofelis Verlag. Berlin 2/ 2019-1/5780. S. 90-103)

Blaue Stunde: Burg Wissem spiegelt sich im Bach © CF

Öl von süßen Mandeln

Kosmetik, die unter die Haut geht

SWR 2 Matinee mit dem Thema „Mandeln“

3.12.2023, 9 bis 12 Uhr

Martina Roßi mit Rosenwasser, Mandelöl, Bienenwachs, ätherischen Essenzen © CF

Meine Reportage läuft in der zweiten Stunde

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Im Wasserbad werden Öle, Wachs und Essenzen gerührt © CF

Karl der Große schätzte es, Hildegard von Bingen schätzte es, die alten Römer_innen sowieso: Mandelöl. Seit Jahrtausenden ist Mandelöl ein Star unter den Salbengrundlagen. Mandelöl ist reich an Vitaminen und Mineralien und es geht sanft unter die Haut.

Die frisch gesiedete Emulsion kommt in den Cremetiegel © CF

Alchemistin Martina Roßi siedet in ihrer Küche eine Salbe. Trägermedium ist Mandelöl. Bienenwachs und Sheabutter geben der Tinktur die nötige Festigkeit. Ätherische Öle liefern den Duft.

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Das Ergebnis ist heilend und betörend zugleich.

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תֵּבָה

tebah = Kasten = Arche

SWR 2 MATINEE ZUM THEMA KORB

19. November 2023, 9 bis 12 Uhr (Meine Miniatur läuft in einer der drei Stunden)

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Israel – am Toten Meer © CF

Bevor Moses sein Volk rettet, wird er selbst gerettet. Er ist ein Baby, als ihn seine Mutter in einen Kasten aus geflochtenem Papyros legt und ihn am schilfigen Nilufer aussetzt. Was blieb ihr anderes übrig?

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Ägypten um 1300 vor Christus. Die Pharaonen regieren eine Weltmacht. Vor allem Ramses II. ist für seine gigantischen Bauprojekte bekannt. Aus dem Ausland kommen billige Arbeitskräfte, die zum Teil seit Generationen im Nildelta leben. Zum Beispiel Hebräer und Hebräerinnen, die aus der Wüste ins fruchtbare Nildelta ziehen. Sie schuften, gründen Familien, zeugen Nachkommen.

שְׁמוֹת Schemot (2. Buch Moses 2, 1-10) © CF

In der Bibel ist zu lesen, dass es dem Pharao zu viele Nachkommen sind. Er befiehlt, dass jeder neugeborene, hebräische Junge getötet werden soll. In der Familie aus dem Hause Levi wird der Sohn seine ersten drei Lebensmonate versteckt. So steht es in einer kleinen Erzählung im zweiten Buch der Tora bzw. im zweiten Buch Moses oder Exodus 2 (2 MOS 2, 1-10) .

Dafna Graf liest das biblische Kleinod auf Hebräisch © CF

Es ist die Geschichte der Rettung von Moses, der als ein ägyptischer Prinz aufwächst, seine Herkunft aber nie vergisst und schließlich zum Begründer Israels wird. Im hohen Alter wird er mit seiner Schwester Miriam die versklavten Hebräer:innen aus Ägypten herausführen.

Tobias Häner liest die Erzählung auf Deutsch (Revidierte Einheitsübersetzung) © CF

Seine „Karriere“ aber beginnt in einem geflochtenen Kasten. Es wird nicht erzählt, wie die Mutter die Kiste (tebah) herstellt. Vielleicht sammelt sie mit ihrer Tochter Miriam in Windeseile Papyrusstauden an den Ufern des Nils, schälen die Pflanzen, flechten aus der Rinde eine fiscella, so steht es in der lateinischen Fassung der Bibel. Fiscella bedeutet geflochtenes Körbchen. Das hebräische Wort heißt Tebah – תֵּבָה, Kasten. Vielleicht ähnelt das Flechtwerk den Booten aus geflochtenen Papyrusstengeln, die zu Ramses‘ Zeiten auf dem Nil verkehren. Nur dass Moses‘ Behausung sehr viel kleiner ist. 

Jerusalem © CF

In dieser Kiste findet die Tochter des Pharaos das Babys Moses. Gott ist ersteinmal nur indirekt beteiligt. Die Akteurinnen sind drei Frauen: Moses‘ Mutter, seine Schwester Miriam und die Tochter des Herrschers. Sie adoptiert das Kind und setzt sich kurzerhand über die Pläne ihres Vaters hinweg. 

Tobias Häner in seinem Büro in der KHKT © CF

Mit Tobias Häner spreche ich über die Erzählung, die aus dem 8. oder 7. Jahrhundert vor Christus stammt. Tobias Häner ist Professor an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) und Lehrstuhlinhaber für Einleitung und Exegese des Alten Testaments und des Dialogs mit den Kulturen des Vorderen Orients. Und er ist Priester des Bistums Basel. 

Dafna Graf in Monheim am Rhein © CF

Dafna Graf liest die Geschichte von Moses, als er ein Baby war, im hebräischen Original. Dafna Graf stammt aus Israel. Sie ist Sprachwissenschaftlerin und lebt im Rheinland. 

Der Kasten – Tebah ist ein Alltagsgegenstand und er ist ein Symbol für die Erinnerung an Rettung und die Hoffnung auf erneute Rettung.

שָׁלוֹם (Schalom)

Dafna Graf – Monguide

Prof. Tobias Häner Prorektor Lehre (KHKT)

Jerusalem – Klagemauer © CF

Kunstseide

SWR 2 Matinee am 12. November 2023, 9 bis 12 Uhr, Thema Seide

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Kunst oder Natur © CF

Sie sind weich und pflegeleicht. Sie trocknen schnell und sind einfach nicht totzukriegen. Trainingsanzüge aus Synthetikfasern. Doch sind sie sexy? Naja. Geht so. Und bloß nicht schwitzen. Sonst müffelts. Einfach auf dem Sofa sitzen und Chips essen. Dafür sind sie doch da, diese Kunstseide-Dinger. Oder?! Dafür werden sie doch gefeiert. Oder?! Am 21. Januar 2024 steigt der nächste Internationale Tag der Jogginghose. Wir fassen sie nur mit Handschuhen an, Seidenhandschuhen natürlich. Aus Nylon, Perlon, Dederon.

2024 steigt auch Neptune, ein Luxus-Ballon des Nasa-Ablegers Space Perspective in Florida. Acht Passagier:innen hängen in einer Kapsel mit Panoramafenstern und Cocktailbar an einem Riesen-Ballon. Die Hülle besteht natürlich nicht aus einfacher Ballonseide, sondern aus einer Spezialfaser auf Polyethylen-Basis. Sechs Stunden dauert die Fahrt. Der Pik ist in 30 Kilometern Höhe. Ein Flugzeug schafft 11 Kilometer. Kosten für eine Ballonfahrt 125 000 Dollar. Und dann einfach abhängen in den bequemen Karbonliegen. Und was zieht Mensch an? Kunstseide vielleicht… ?

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Doch was ist Kunstseide überhaupt? Wir sprechen mit Stefan Hecht, Professor am Leibniz-Institut für interaktive Materialien, Humboldt-Universität Berlin.

Stefan Hecht (Chemiker/ Photoresponsive Materialien) und Laura de Laporte (Chemikerin/ Advanced Materials for Biomedicine) © Foto Silke Rieder Rechte DWI-Leibniz-Institut

Wir folgen coolen Maschen, hören Geschichten über die Flucht mit Heißluftballons und sind bei einer Briefmarkenauktion dabei.

Versteigert werde Briefe aus der Sammlung Ballon Monté, Briefe, die aus Paris über den Belagerungsring der preußischen Soldaten per Ballon gefahren werden, während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71.

Deutsches Kunststoffmuseum

c/ o LVR-Industriemuseum (Peter Behrens-Bau)

Hansastraße 18, 46049 Oberhausen

Stefan Hecht (Leibniz Institut für Interaktive Materialien. Uni Berlin)

Versteigerung der raren Sammlung Ballon Monté bei Heinrich Köhler © CF

Briefmarken-Auktionshaus Heinrich Köhler

Hasengartenstr. 25, 65189 Wiesbaden

Vom Meer aus: Space Perspective hebt ab vor der Küste Floridas © Space Perspective

Neptune – Ballonfahrt in die Stratosphäre

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Glossolalie

In Zungen reden

SWR Matinee zum Thema Zungen

Sonntag, 14. Oktober 2023

Meine Miniatur läuft irgendwann zwischen 9 und 12 Uhr

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Apostel Paulus (Gemälde: Bartolomeo Montagna (1482) Rechte: Museum Poldi Pezzoli/ Mailand/ Google Art project

In Zungen reden klingt nach Vergangenheit, nach spiritistischen Sitzungen und Esoterik. Wer in Zungen redet, ist ein wenig neben der Spur. Von wegen. Die Zungenrede ist ein Liebling der Moderne. In Zungen reden ist eine uralte Religionspraxis, die der Theologe und Apostel Paulus diskutiert, in seinem Brief an die Korinther, geschrieben um 54 oder 55 nach Christus. Pfarrer Malte Würzbach liest Ausschnitte aus den ältesten Schriftstücken des Urchristentums auf auf Koine-Griechisch.

Malte Würzbach (Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Monheim-Baumberg am Rhein) in der Baumberger Friedenskirche © CF

Die Glossolalie, die Zungenrede wird nach wie vor praktiziert. In der Klassischen Moderne entdeckt die Kunst die Zungenrede für sich und erhebt sie zum ästhetischen Prinzip. Sie ist Metapher und Stilmittel einer Rebellion. In der Glossolalie äußert sich der große Geist einer kleinen Bewegung zwischen zwei Weltkriegen: Dada. Konkrete Poesie und auch Poetry Slam bedienen sich der Zungenrede.

Schalldeckel der Kanzel in der entwidmeten Kirche St. Elisabeth in Aachen: Die Taube symbolisiert den Heiligen Geist © CF

Als Religionspraxis ist sie vor allem in den Gemeinden der sogenannten Pfingstbewegung zu finden. Die ersten Pfingstgemeinden entstanden im 19. Jahrhundert in den USA. Die Gläubigen beziehen sich auf das Pfingstwunder, das ebenfalls im Neuen Testament zu lesen ist, in der Apostelgeschichte. Jerusalem im Jahr 30 nach Christus. 50 Tage nach Jesus‘ Tod feiern die Jünger:innen mit jüdischen Menschen aus der ganzen Welt Schawuot, ein Erntefest für die ersten Früchte im Jahr. In dem Moment fährt der Heilige Geist in die 12 Apostel. Und sie fingen an, in anderen Zungen zu reden (Apg 2/4). Mit einem Mal beherrschen sie mehrere Fremdsprachen. Ein Akt, der als Pfingstwunder in die christliche Kirchengeschichte eingeht.

William Joseph Seymour (1870-1922): Afroamerikanischer Pfarrer in Los Angeles und Begründer einer der ersten Pfingstgemeinden. Im Haus an der Azusa Street wird die Colorline übertreten und Zungenrede praktiziert. © Foto: unbekannt (1910er Jahre)/ Rechte: Public domain

In der Apostelgeschichte schreibt der Verfasser Lukas (zeitweiliger Reisebegleiter von Paulus) von anderen Zungen, nicht von Glossolalie. Für Volkhard Krech, Professor für Religionswissenschaften an der Uni Bochum, besteht ein ganz feiner Unterschied. „In der Pfingstthematik ist geht es um die Frage der Verständigung trotz verschiedener Sprachen. In der Glossolalie hingegen geht es um ein Spezialmedium, um mit Gott und dem Heiligen Geist zu kommunizieren.“

Volkhard Krech: Professor am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien. Ruhr-Universität Bochum © CF

Doch was ist das: In Zungen reden? Ich sprach mit dem Religionswissenschaftler Volkhard Krech und ich besuchte die Website adler-dienst.org.