Konstantinopel

Der Sturz einer Weltstadt am 29. Mai 1453

29.5.2023

WDR 5, 9.45 Uhr/ WDR 3, 17.45 Uhr

TITELBILD

Topografische Karte Konstantinopels während des byzantinischen Zeitraums. Quelle: R. Janin, Constantinople Byzantine. Developpement urbain et repertoire topographique. Straßennetz und andere Einzelheiten basiert auf Dumbarton Oaks Papers 54. Kirchen, insb. nicht identifizierte und ausgegrabene Bauten sind aus dem The Byzantine Churches of Istanbul entnommen/ Graphik: Cplakidas 2008

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Buchcover: Ein altes Foto zeigt die  Hagia Sophia in Istanbul

Dienstag, Stunden vor Sonnenaufgang. Ungeordnete Truppen rennen auf die Mauer zu. Abenteurer aus verschiedenen Ländern. Mit Geschrei, Krummsäbeln und Schleudern verbreiten sie Angst. Der erste Angriff kann abgewehrt werden. Doch dann rückt Krieger aus Anatolien nach. Sie legen ihre Sturmleitern an den Schutzwall. Gläubige Moslems, diszipliniert und bestens bewaffnet. Am Ende schickt der Sultan seine Elitetruppe ins Feld: Die Janitscharen. Sie sind in der Regel Bauernsöhne christlicher Untertanen des osmanischen Herrschers Mehmet II.. Zwangsrekrutiert im Kindesalter. Sie erhalten eine Spezialausbildung, lernen Türkisch, Religion und bedingungslose Treue gegenüber ihrem Dienstherrn, dem Sultan. In engen Reihen laufen die Janitscharen auf die Mauern zu. Ungeachtet der Pfeile, Geschosse, Steine, die auf sie niedergehen. Irgendwann weht die erste türkische Fahne auf einem der Wachtürme. Konstantinopel ist gefallen, nach achtwöchiger Belagerung und 1100 Jahre nach seiner Gründung durch Konstantin I.

Das Buchcover zeigt Sultan Mehmet II. in einem Gemälde.

Mehmet II. ist Anfang 20, als er den Angriff plant. Am Bosporus lässt er Festungen bauen. Den ungarischen Waffenschmied Orban bezahlt er gut für seine Artillerie-Experimente. Schweres Geschütz wird aufgefahren. 60 Kanonen werden in Stellung gebracht, und Orbans Superwaffe, die 600 Kilo schwere Eisenkugeln gegen den Schutzwall feuert. Der Sultan kennt den Glanz der Stadt, im Norden des Marmarameeres. Konstantinopel.

Auf dem Cover ist die karte des byzantinischen Konstantinopels zu sehen. Umgeben von Bosporus, Meer und Goldenem Horn

Im 4. Jahrhundert wurde Nova Roma gegründet, als zweiter Regierungssitz des Römischen Imperiums. Aus dem Reichszentrum wird eine Kaiserstadt. Sie ist später Zentrum eines christlichen Vielvölkerstaates.

das Cover zeigt die Ikone eines Soldatenheiligen. Der junge mann blickt frontal aus dem Bildnis

Das byzantinische Reich stirbt in dem Moment, als seine Stadt fällt. Konstantinopel. Beraubt und niedergebrannt von christlichen Kreuzfahrern aus dem Westen. Geschwächt durch innere Unruhen. Erobert von der Militärmacht des osmanischen Sultans, an einem Dienstag im Mai 1453. 

das Foto zeigt Dionysos Stathakopulos. er sitzt mit verschränkten Armen an einem Holztisch, an einer Ziegelwand.
Dionysios Stathakopoulos © Effie Fotoaki

Ich sprach mit Dionysos Stathakopoulos, Professor für Byzantinische Geschichte an der Universität Zypern in Nikosia.

Und ich sprach mit dem Historiker Malte Fuhrmann. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Geschichte des Mittelmeers, speziell in der Stadtgeschichte von Istanbul, Thessaloniki und Izmir. 

Das Bild zeigt Petros Markaris (85 Jahre alt) an seinem Schreibtisch in Athen. Hinter ihm eine Bücherwand. r signiert ein Buch und hat eine Pfeife im Mund.
Petros Markaris in seiner Wohnung in Athen © CF

Und ich sprach mit dem Schriftsteller Petros Markaris. Er schuf einen Serienhelden namens Kostas Charitos, der Kommissar seiner Kriminalromane. Petros Markaris ist in Istanbul geboren und aufgewachsen, als Sohn eines armenischen Vaters und einer griechischen Mutter. Er selbst lebt in Athen und spricht viele Sprachen.

Petros Markaris sitzt auf seinem Balkon zwischen Pflanzen und einen alten Marmortisch. Er blickt in Richtung Kamera und lächelt
Petros Markaris auf seinem Balkon © CF

LITERATUR

Barbaro, Nicolò: Giornale dell’assedio di Costantinopoli 1453 di Nicolò Barbaro. Bayerische Staatsbibliothek. Digitalisat: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10447274?page=5

Barbaro, Nicolò: Diary of the Siege of Constantinople 1453. Trans aus dem Venezianischen ins ENGL.: John Melville-Jones. New York 1969

Dukas: Chronographia. Byzantiner und Osmanen im Kampf um die Macht und das Überleben. 1341-1462. (HG. Zimmermann, Bernhard/ Holzberg, Niklas) Ü. Diether Roderich Reinsch. Griechisch-Deutsch. Sammlung Tusculum. Verlag De Gruyter. Göttingen 2020.

Fuhrmann, Malte: Konstantinopel – Istanbul. Stadt der Sultane und Rebellen. S. Fischer Verlage. Frankfurt am Main 2019

Faroqhi, Suraiya: Geschichte des Osmanischen Reiches. Verlag C.H.Beck. München 2000

Markaris, Petros: sämtliche Bücher auf Deutsch (siehe https://www.diogenes.ch/leser/meta/search-results.html?queryStr=Markaris)

Rosenquist, Jan Olof: Die byzantinische Literatur. Vom 6. Jahrhundert bis zum Fall Konstantinopels 1453. De Gruyter. Berlin 2007

Runciman, Steven: Die Eroberung von Konstantinopel 1453. Verlag C.H.Beck. München 2012

Schreiner, Peter: Konstantinopel. Geschichte und Archäologie. Verlag C.H.Beck. München 2015

Stathakopoulos, Dionysios: The Byzantine Empire. A short history. Bloomsbury Academic. London 2021

das Buchcover zeigt einen alten Stich von Konstantinopel. Stadtmauer, Wachtürme, Häuser

Sensitivity Reading

Lektorat gegen Diskriminierung

Neugier genügt – Freifläche

WDR 5 am 19. Mai 2023, nach 10 Uhr

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Schlagworte. AUS: Plattform https://sensitivity-reading.de © Screenshot/ Sensitivity-Reading.de

Sie lesen mit Feingefühl, die Sensitivity Reader:innen. Sie lesen auf den Zeilen und zwischen den Zeilen. Sie nehmen die Themen in den Blick, die ihrer Lebenswelt entsprechen und dem Umfeld der Autor:in fremd sind.

„Senstivity Reading richtet sich vor allem an Autor:innen, die Szenen und Figuren außerhalb ihrer eigenen Lebenswelt entwickeln.“ Elif Kirömeroǧlu © Foto: Privat

Sensitivity Reading stammt aus dem Amerikanischen und ist eine Art Lektorat, auf das Verlage und Schriftsteller:innen immer öfter zurückgreifen. Aus Angst vor Shitstorm, sagen die Einen. Um Stereotype nicht weiter fortzuschreiben, sagen die Anderen. Der Tod jeglicher Kunst! Die Geburt der Vielfalt! 

„Wenn Verlage niemandem das Sensitivity Reading aufzwingt, sehe ich darin kein großes Problem.“ Maria-Sibylla Lotter © Foto: Privat

Über Sensitivitiy Reading sprach ich mit

  • Elif Kirömeroǧlu (Mitgründerin Sensitivity Reading.de/ Deutsch- und Geschichtslehrerin)
  • Maria-Sibylla Lotter (Geschäftsführende Direktorin für das Institut für Philosphie I. Lehrstuhl für Ethik und Ästhetik. Ruhruniversität Bochum)
  • Anatol Stefanowitsch (Professor für Sprachwissenschaft, Institut für Englische Philologie. Freie Universität Berlin)
„Sensitivity Reading ist nicht für jene weißen Männer gedacht, die im Feuilleton laut schreien: Sie brauchen kein Sensitivity Reading! Sensitivity Reading ist für die Menschen, die ständig stereotypisiert und herabgewürdigt werden.“ Anatol Stefanowitsch © Foto: Ben Stefanowitsch

LINK

Sensitivity Reading – Plattform

Initiatorinnen: Elif Kirömeroğlu und Victoria Linnea

Aufgeschlagenes Buch steht im Regal, das Lesebändchen hängt über den Seiten
SeitenWeisen © CF

LITERATUR

Lotter, Maria-Sibylla/ Vukadinovic, Vojin Sasa: Probleme der Streitkultur in der Demokratie und den Wissenschaften. Die kulturellen Grundlagen und Bedrohungen der Demokratie Karl Alber Verlag. Freiburg 2023

Stefanowitsch, Anatol: Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. Duden Verlag. Berlin 2018

Väter

Ein Stickeralbum mit fünf Sammelbildern

Vier Väter, sechs Kinder, eine erwachsene Tochter, zwei Wissenschaftler.

WDR 5, Neugier Genügt, 17. Mai 2023, 10 Uhr

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Links im Bild steht Vater Oli mit seinen Söhnen an der Küchenablage (rechts im Bild) Einer der Söhne rührt per Holzlöffel im Topf. Vater und Sohn2 bereiten Teig zu.
Am Herd: Koch Oli assistiert den Söhnen beim Apfelmus kochen und Teig rühren. © CF

Väter schüren das Feuer. Sie spielen Fußball, klettern ohne Seil. Sie zeigen, wo es langgeht. Sie sind mit ihren Kinder Kind. Väter sind anders, sind besonders, sind selten da, sind kein sicherer Hafen, dafür für jedes Abenteuer zu haben. Wirklich?

Frontal zur Kamera schaut Daniel Müller. Er umarmt seinen Sohn, der eine Dartscheibe vor dem Gesicht hält
Mit zwei Vätern: Für Dean ist Ben der Papa und Daniel (im Bild) ist Papi. © CF

Geschlechteridentitäten brechen auf. Transgender, Lesbisch, Schwul sägen an überkommenen Rollen. Auch moderne heterosexuelle Familien schneiden alte Zöpfe ab, obgleich das nicht immer leicht ist. Denn nach wie vor verdienen Männer mehr Geld, arbeiten in höheren Positionen, sind in Spitzenämtern unabkömmlich. Wie können sie dann Vater sein, mit Haut und Haaren?

In einer Durchfahrt spielt Carsten Schülke (hinten im Bild) mit seinem Sohn Fußball. Der ball ist gelb.
Am Ball: Carsten Schülke mit seinem Sohn © CF

Und was wünschen sich Kinder von ihren Vätern? Die Väterforschung ist ein junges Terrain. Seit den 1970er Jahren befassen sich Studien mit der Rolle der Männer in den Familien.

Tochter und Sohn laufen über ein gemaltes Bild aus Kreide.
Mit Kreide: Die Kinder von Carsten Schülke © CF

In den 2010er Jahren erleben Väter einen richtigen Hype. Einige Wissenschaftler:innen sehen im Vater an sich die Besonderheit. Eine fragwürdige These. Am Testosteron kann es schonmal nicht nicht liegen. Das Molekül ist zu komplex und seine Wirkung ohnehin ein Mythos; der nichts anderes befördert als eine schleichende Biologisierung der Gesellschaft.

Fürsorge können beide Geschlechter gleichermaßen leisten. Ob sie nonbinär, gay, transgender oder heterosexuell sind.

Mit dem Rücken zu uns steht der Sohn von Daniel Müller. Er trägt langes lockiges Haar. Auf der Schulter thront eine Stoffgiraffe.
Vater Vater Kind… UND Polly. Die Stoffdame gehört zur Familie. © CF

Es gibt Vater-Kind-Freizeiten, Vater-Workshops, Vater-Beratungen. Forschende sezieren das Konstrukt Vaterschaft und die Stereotype, die über Generationen hinweg transportiert werden.

Das Portrait von Andreas Eickhorst. Er trägt Brille und ein blaues Hemd mit abstraktem Munster.
Andreas Eickhorst © Privat

Geschlecht ist eine Kategorie, die sich nicht einfach ausblenden lässt. Rein biologisch sind Männer und Frauen notwendig. Aber Geschlecht ist nicht mehr die wichtigste Kategorie. Andreas Eickhorst (Professor für psychologische Grundlagen sozialer Arbeit. Hochschule Hannover)

Amie Savage steht vor einer gelb gestrichenen wand. Sie trägt eine blaue Brille, ein Stirntuch um Haar und Rasta-Locken.
An den Vater erinnern: Die Mundmalerin Amie Savage verlor ihren Vater, als sie zehn Jahre alt war. © CF

Sichtweisen ändern ist das Gebot der Stunde. Das Feld ist weit, dass die Entwicklungspsychologie zu beackern hat.

Die gleichgeschlechtlichen Elternschaften gilt es genauer zu untersuchen. Auch Vaterschaft mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen müssen viel differenzierter in den Blick genommen werden als es bisher der Fall ist. Ebenfalls kaum berücksichtigt sind Väter von Kindern mit Inklusionsbedarf. Johannes Huber (Professor für Psychologie an der Technischen Hochschule in Rosenheim)

Pascal schaut direkt in die Kamera. Auf der Schulter sitzt seine Tochter, die nur mit ihren Beinchen zu sehen ist.
In zwei Sprachen: Pascal lernt Deutsche Gebärdensprache. Seine Tochter ist taub. © CF

Und was zeigt der Alltag? Wie engagieren sich Väter? Welche Beziehungen pflegen sie zu ihren Kindern? Wie lebt es sich in einer Familie mit zwei Vätern? Ich durfte an Familientischen sitzen, in der Küche und in Kinderzimmern.

Auf dem Bild sind die Beine von Carsten Schülke und seiner Tochter zu sehen. Sie trägt Inlinescater und er hellbraune Sportschuhe aus Leder.
Who is who? Carsten Schülke und Tochter © CF

LITERATUR

  • Dinges, Martin (Hg.): Männlichkeiten und Care. Selbstsorge, Familiensorge, Gesellschaftssorge. Beltz Verlag. Weinheim 2020
  • Huber, Johannes: „Vater, wo bist Du?“ Eine interdisziplinäre Spurensuche zum relationalen Phänomen väterlicher An- und Abwesenheit. Väter zwischen An- und Abwesenheit. Beltz Verlag. Weinheim 2019

LINKS

Väter-Experten-Netz Deutschland e.V. (Vend)

Vorstand: Andreas Eickhorst

Black Dads Germany

Young Dads for cool kids

@yd4ck

Jugendliche Väter im Blick

Ein Projekt des katholischen Vereins für soziale Dienste in Rheydt

SKM (Schutz bieten – Kraft geben – Mensch sein)

rubicon Köln

Fachstelle Regenbogenfamilien NRW

Daniel Müller sitzt im Profil am Tisch . Links im Bild ein Fenster. Er schaut in die Kamera. Er trägt einen Glitzerpuli und eine Stoff-Kappe.
Daniel Müller © CF

Simon Hartmann und Daniel Ernesto Müller

BenJRiepe-Kompanie

Swinging Sisters

Equality Dancing macht Schule

WDR 5, Neugier Genügt, 12. Mai 2023, 10 Uhr

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Lady Olivia und Stefanie Hampel moderierten das Turnier der Damen in Standard und den Wettbewerb der fünf Formationen © CF

Berlin. Unter dem Dach des Sportzentrums Turngemeinde in Berlin 1848 befinden sich die Räume des pinkballroom, der Tanzsportgruppe für gleichgeschlechtliche Tanzpaare. Ende April 2023 fanden hier die Deutschen Meisterschaften im Equality-Tanzsport statt.

Mehrere Frauen stehen in einer reihe. Sie tragen rosa Tutu und schwarze Leggings, rosa Krawatten und rosa Kniestrümpfe
Mit Tutu und Leidenschaft: Das erste Turnier der Swinging Sisters-B-Formation © CF

Auch die Swinging Sisters aus Köln gingen an den Start. Die beiden Formationen und zwei Turnierpaare tanzten Rumba, Jive, Walzer, Foxtrott…

In einem Saal steht Claudia Reger mit dem Rücken zu mehreren Frauen. Sie üben eine Tanzschritt.
Tanzen wie die Weltmeisterin: Claudia Reger im Training mit Anfängerinnen © CF

Und wer ne richtige Swinging Sister ist, bleibt nicht in einer Rolle hängen. Denn die Swinging Sisters machen Spitzen-Figuren.

Drei Frauen stehen in einem Raum. Sie tragen Kostüme in Pink und schwarz.
Ich tanze am liebsten in der Formation. Der Formationstanz ist eine Übung in Toleranz. Es geht darum, bei sich selber zu schauen, den eigenen Blick zu relativieren und sich in Beziehung zu den anderen zu sehen.“ Sabine Mayer (Swinging Sisters B-Formation)

Seit 25 Jahren fallen die Elevinnen der Kölner Frauentanzschule aus dem Rahmen. Sie gehören zu den Pionier:innen, die den Führungswechsel einbauen. Sie sind Führende und Folgende in einer Person.

Für ihre Tanztruppen entwickelt die Trainerin Claudia Reger stets neue Choreographien. Geschichten, die in sieben Minuten aufs Parkett gelegt werden. Geometrische Figuren. Jeweils zwölf Tänzerinnen drehen sich, laufen, springen, pulsieren wie Wellen, verharren in Bildern, lassen sie im nächsten Moment zerfließen.

Ein Turnierpaar tanzt einen Standardtanz
Turnierpaar der Swinging Sisters: Karolin Jacobs (re.) und Brita Böckenfeld tanzen im Finale der Damen Standard Gruppe B © CF
Karolin Jacobs (re.) und Brita Böckenfeld

Angefangen hatte es zu Beginn der 1990er Jahre. Damals ging es direkt von den Demos in die Ballrooms. Die Frauentanzschule Swinging Sisters in Köln ist ein Kind dieser Bewegung.

Claudia Reger sitzt im Profil am Fenster zwischen zwei Stores, einer ist pink, einer orange.
Im Farbrausch: Claudia Reger (Turniertänzerin, Trainerin, Tanzschulinhaberin) © CF

Die Gründerin und Inhaberin Claudia Reger engagierte sich als Studentin im Frauen- und Lesbenreferat der Uni, bevor sie ihr Hobby zum Beruf machte. Jetzt feiert sie 20jähriges Bestehen der Frauentanzschule Swinging Sisters.

Brita Böckenfeld und Karolin Jacobs stehen auf dem Siegerinnenpodest und schauen in die Kamera. rechts von ihnen steht das Paar auf Platz 3. © CF
Auf dem Podest: Platz Zwei für Karolin Jacobs und Brita Böckenfeld

Unter dem Dach des Deutschen Verbandes für Equality-Tanzsport (DVET) dürfen die Tänzer:innen Alles: Führen und folgen. Von den heterosexuellen Wertungsrichter:innen erhielten sie oft schräge Blicke statt gute Punkte.

Inzwischen sind Equality Tanzen und Führungswechsel auch auf dem Mainstream-Parkett angekommen. Auch die Wertungsrichter:innen sind gut ausgebildet und wissen, worauf sie zu achten haben. Anita Eggert hat dem Equality Tanz beim „Groß werden“ begleitet. Sie wertet gleichgeschlechtliche Turniere seit Ende der 1990er Jahre.

Eine Dame mit schwarzen Haaren und auffälliger Halskette schaut direkt in die Kamera. Sie trägt Brille und schwarze Haare
Wertungsrichterin Anita Eggert © CF

Die Konkurrenz ist groß. Konventionelle Tanzschulen, die noch vor einigen Jahren Equality-Paare abgewiesen hatten, lassen bitten. Viele queere Tanzschulen schließen. Turniere bangen um genügend Wettkampfteilnehmer:innen.

Drei Medaillen vor einem orangefarbenen Hintergrund
Heavy Metal: Claudia Reger hält ihren ersten großen Erfolg in einer Hand, dreimal Gold bei den sechsten Gay Games in Sydney (2002) © CF

Ist das Ziel erreicht? Sind die Tänze out? Sind Orte wie die Swinging Sisters überflüssig? Oder sind sie einfach zu eng für ein so diverses Publikum wie LGBTIQA+? Die Frauentanzschule Swinging Sisters macht die Türen zum Ballroom weiter auf. Queer are welcome!

Mehrere Frauen in Kostümen und Perücken stehen  in einer Reihe. Jeweils die Nachbarin hält den Bein der anderen auf ihrem Schenkel wie eine Gitarre.
Rockröhren: Die A-Formation beim Auftritt in Berlin © CF

In der Szene wird viel diskutiert. Ist es ein Schritt in die richtige Richtung oder ein Fehltritt? Erst mal ein Tanz bitte. Viel Spaß bei meinem Feature über die einsame Spitze des Equality Tanzens.

Zwei Frauen sitzen auf Barhockern und schauen direkt in die Kamera. Hinter ihnen an der Wand ist die Zeichnung eines Tanzpaares zu sehen
Es ist wichtig, diesen Safe Place zu haben“ Claire Landsmann (li./ mit ihrer Frau Maike Landsmann) „Hier kann jede so sein sein, wie sie ist.“ (Maike Landsmann) © CF
Susanne Hölzle schaut in die Ferne. Sie steht vor einem Banner in Orange-Pink. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt.
Ich habe eine Trainerin, die für mich ein Vorbild ist, weil sie eine hervorragende Tänzerin ist und modernes Tanzen vermittelt. Für mich ist die Frauentanzschule mein Sportclub, kein Schutzraum. (Susanne Hölzle. Swinging Sisters A-Formation)
Zwei Frauen stehen im Profil. Davina Reuter, links im Bild, sprüht mit einer Flasche Fixierer ins Gesicht von Alexandra Fröhlich.

„Ich wäre wahnsinnig traurig, wenn es die Frauentanzschule nicht mehr geben würde. Das ist ein besonderer Ort.“ (re./ Alexandra Fröhlich mit Davina Reuter beim Schminken für den Auftritt der B-Formation)

In den Anfängen hatten wir im Pinkballroom eigene, sozusagen geschützte Trainings. Später entschlossen wir uns, mit dem Verein des Deutschen Tanz-Verbandes zusammenzuarbeiten. Doch das erwies sich als nicht einfach. Es wurde nicht mehr von Führenden und Folgenden gesprochen, sondern von Männern und Frauen. Die Auseinandersetzungen waren zum Teil sehr hart. Aber es gab auch ganz gegenteilige Erfahrungen. (Kerstin Kallmann. Turniertänzerin, pinkballroom) © CF
Unsere Turniere sind einfach so viel schöner und so viel familiärer. Die Atmosphäre ist nicht durchsetzt von Ehrgeiz und Ellenbogenmentalität. Vo daher glaube ich, dass es diese Turniere und Tanzschulen immer geben wird. (li./ Karolin Jacobs mit ihrer Partnerin Brita Böckenfeld)
Queere Tanzgruppen finde ich super. Es geht eben nicht mehr nur um Frau mit Frau und Mann mit Mann. Sondern es geht in jegliche Richtung. Alle, die sich in between fühlen, sind angesprochen. ich wünsche mir, dass das Queere einfach sichtbarer wird. (li./ Brita Böckenfeld mit Karolin Jacobs im Kostüm der A-Formation)

Frauentanzschule Swinging Sisters

Queer welcome

Venloer Straße 725, 50827 Köln

13. Mai 2023

20 Jahre Swinging Sisters

Große Jubiläumsparty, 20 Uhr

Frontal im Bild ist ein Mann in einem futuristischen Kostüm zu sehen. Sein linkes Auge ist geschminkt. Er trägt eine Brille und Baseballkappe.
Roxy führt die Standard-Turnierpaare aufs Parkett. © CF

Deutscher Verband für Equality Tanzsport

Drei Frauen stehen im Raum. Die Frau rechts im Bild hält ihre Hand auf den Auslöser einer Kamera auf dem Stativ.
Kerstin Kallmann (Mitte) im Pinkballroom. © CF

Pinkballroom

Tanzsportgruppe für gleichgeschlechtliche Tanzpaare in der Tanzsportabteilung der TiB 1848 e.V. (Turngemeinde in Berlin)

Columbiadamm 111, 10965 Berlin

Die Schneekugel aus Glas zeigt zwei Paare, ein Frauen und Männerpaar vor einem Riesenrad unter Glitzerschnee
Blick in die Kugel: Die Zukunft verspricht queer zu werden. Die Pokale des Vienna Dance Contests bestehen aus handgefertigten Schneekugeln. Diese Miniatur kann 2024 wieder erworben werden, im Rahmen der Eurogames (17. bis 20. Juli) Ab in die Tanzschule Swinging Sisters und trainieren. Die Trophäenjägerin Claudia Reger hat eine in der Vitrine stehen. © CF

D’r decke Pitter

Petersglocke im Kölner Dom wird 100

5.5.2023, WDR 3, Mosaik, 8 Uhr

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Draufsicht auf eine Straße aus 50 Metern Höhe. Wie Legofiguren wirken die menschen. Links im Bild die Fassade eines gotischen Baus aus Sandstein mit Türmen, Spitzbogenfenstern, Ornamenten
Mit dem Bauaufzug in rund 50 Meter Höhe © CF

D’r decke Pitter lässt bitten. Wer gratulieren will, muss hoch hinaus. Wir fahren mit einem Bauaufzug an der Nordseite des Doms entlang, unternehmen quasi einen Ausflug ins Sandsteingebirge.

Ein Holzsteg führt zu einer Tür in den Dachstuhl der Kathedrale. Gesäumt von Ziertürmen.
Von der Nordseite in den Südturm, zum Glockenstuhl © CF

Der „Bergführer“ ist Jörg Sperner, Architekt, Denkmalpfleger, Assistent des Dombaumeisters.

Jörg Sperner steht in der Glockenstube und schaut frontal in die Kamera. Hinter ihm hängt die Petersglocke.
Jörg Sperner vor der Petersglocke © CF

Und dann stehen wir am Geburtstagskind. Sie ist eine Glocke der Superlative: die Petersglocke im Kölner Dom, auch liebevoll d’r decke Pitter genannt. Bis 2018 galt sie als die größte, freischwingende Glocke der Welt. Jetzt ist die Petersglocke mit ihren 24 Tonnen nicht mehr die Rekordhalterin. Die Glocke in der rumänischen Kathedrale in Bukarest bringt eine Tonne mehr auf die Waage.

Die Petersglocke hängt zwischen Eisenstreben und Seilwinden, die den Klöppel bewegen. Am Horizont fällt Licht durch ein Fenster.
Im Südturm des Kölner Domes: 3,22 Durchmesser/ 3,20 hoch/ 24 000 Kilogramm Bronze © CF

D’r decke Pitter bringt den tiefsten Ton weltweit hervor. Ach, die Glocke ist ohnehin ein starkes Stück und damit konkurrenzlos, zumindest für die Kölner:innen. Am 5. Mai feiert das Heavy Metal 100. Geburtstag. Am 5. Mai 1923 wird die Glocke in Apolda gegossen, von dem Glockengussmeister Heinrich Ulrich. Den Klang hat der Schöpfer nicht mehr miterlebt. Er starb vor der Glockenweihe im Alter von 48 Jahren an einer schweren Grippe.

Das Detail fokussiert auf den Klöppel aus einem speziellen Klangstahl, der aus der Glocke herausragt. Von der Glocke ist nur der untere Rand zu sehen.
Allein der Klöppel wiegt eine halbe Tonne und ist rund drei Meter lang. Der Klöppel wird nicht wie die Glocke gegossen, sondern geschmiedet © CF

Die Petersglocke misst 3,22 Meter Umfang. Ist also einen guten Meter breiter als das Hauptportal des Doms. Also wurde das Portal ausgebaut, um die Glocke überhaupt in die Kirche zu bekommen. Mit Seilwinden und viel Muskelkraft wurde sie schließlich in die Glockenstube gewuchtet.

Ein oktogonaler Turm ragt in den Himmel. Er läuft nach oben spitz zu. Auf dem Helm sitzt ein Stern. Die Seiten zieren Engel im Stil von Art Deco.
Im Vierungsturm hängen die ältesten Domglocken aus dem 14. Jahrhundert und zwei Barockglocken. © CF

Vielleicht hat ihr der beschwerliche Weg im zweiten Weltkrieg das Leben gerettet. Vielleicht bewahrte ihr schöner Klang die Glocke vor dem Einschmelzen für den Krieg. Vielleicht wollten die Nazis mit d’r decke Pitter ihren sogenannten Endsieg einläuten. Glücklicherweise ist das nie geschehen.

Der die Decke des lang gestreckten Dachstuhls sieht aus wie ein umgekehrtes Schiff. Eisenstreben stützen die Konstruktion aus Holz.
Auf dem Dachboden über dem Langhaus des Kölner Doms © CF

Jetzt hängt d’r decke Pitter mit seinen elf Geschwistern im Kölner Dom und feiert Geburtstag. Und er bekommt sogar ein Geschenk. Jörg Sperner führt mich über den Dachboden zum Vierungsturm. Hier hängt die Klaraglocke, die den hellsten Ton des Geläuts hervorbringt.

Im Vierungsturm hängt die Klaraglocke. Sie hängt an einem Joch, ist rund 70 Kilo schwer und vielleicht 50 Zentimeter hoch. Sie hängt zwischen massiven Holzbalken. Im Hintergrund lehnt Jörg Sperner an einer gusseisernen Wendeltreppe
Klaraglocke: Die kleine Schwester aus dem Jahr 1621 bringt 70 Kilo auf die Waage © CF

Kölner Dom

Links im Bild ist die Fassade des Doms, rechts im Bild ein Blick auf die Dächer Kölns. Am Horizont steht ein Hochhaus.
© CF

Verschenke-Kisten

SWR 2 Matinee zum Thema „Kiste“

16. April 2023, 9 Uhr läuft meine Reportage

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Eine alte Dame beugt sich über eine Pappkiste, die auf einer Betonmauer steht. In der einen Hand hält sie eine Flasche mit Bademilch. Sie stöbert zwischen Handtüchern, Glasschalen und Dingen, die dich das Handtuch verdeckt sind.
„Altrüscher Kess“, sagt sie auf Kölsch: „Trödelkiste“. © CF

Kisten ziehen magisch an. Sie bergen Überraschungen. Sie verzücken, erschrecken, lassen staunen… In den letzten Jahren machen Verschenke-Kisten von sich reden. Sie sagen dem Kaufen und Verkaufen den Kampf an. Ist doch geschenkt. Und das steht in einer langen Tradition.

In den 1960er Jahren öffnen die ersten free stores in den USA. 1999 gibt es in Hamburg den erste Umsonstladen der Bundesrepublik. 2011 entsteht in Berlin eine neue Kultur des Schenkens, die sogenannten Giveboxes. Das sind offene, überdachte Häuschen, in denen Menschen anonym Dinge mitnehmen oder auch hinbringen können. 

Auf der Mauer sitzt eine ältere Frau. Kurze haare, weinroter Pulli, roter Lippenstift. Nebenhin steht eine Kiste, in der ein Schild liegt "Zu verschenken". Auf er anderen Seite liegt eine Brille auf der Mauer und eine weiße Kaffeetasse.
Sie handelt nach klaren Kriterien: Für einen Tag ausstellen und wieder einsammeln, was nicht gewollt ist. © CF

Jetzt fungiert der öffentliche Raum als Givebox. Menschen stellen Kisten vor ihre Haustür oder an den Straßenrand, mit einem Schild versehen Zu verschenken. Wer will, bedient sich. Viele wollen, weil die Inhalte oft attraktiv sind. Doch viele wollen auch nicht, weil die Inhalte vom Regen aufgeweicht oder einfach kaputt sind. Manche haben Zorn, weil die Kisten wochenlang vor ihren Türen stehen.

Im öffentlichen Raum dürfen Verschenke Kisten nicht stehen. Oft drücken die Gemeinden ein Auge zu, doch wenn Anwohner:innen klagen, schauen sie genau hin. Dann sind Bußgelder fällig.

Auf einer Mauer liegen verschiedene Gegenstände: zwei Taschen, ein Buch, Textilien, Becher mit Kaffee. Darüber liegt ein vom Regen durchweichtes Pappschild "Zu verschenken"
Sperrmüll statt Spende: Die Entsorgung kostet. Sind die Absender:innen unbekannt, zahlen wir alle. © Katerina Katsatou

Die Idee ist Klasse. Schenken statt wegwerfen. Weiternutzen statt neu kaufen. Einfach mal Out of the box denken.

Meine Frau und ich packten ne Kiste und stellten sie auf eine Mauer. Wir setzten uns daneben und warteten ab. Plötzlich wurde unser Karton zum Treffpunkt. Zu Wort kommt auch Patrick Hasenkamp, der Vizepräsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU).

Auf der Mauer steht ein Karton. Am Karton lehnt ein Pappschild "Zu verschenken". Aus dem Karton ragt eine Zeitschrift mit der Überschrift "Steinkohle". Im Hintergrund sind Häuser und Bäume zu sehen.
© CF

Orgel in Dülken 

Renovierung der „Königin“ in St. Cornelius

TITELBILD: Schall für Seele © CF

Ein Bruchteil der verbauten Orgelpfeifen zwischen 1 und 32 Fuß

NEU !!!!! WIEDERHOLUNG BEI WDR 5, SCALA, 31.3.2023, 14 und 21 Uhr !!!!!!

Links im Bild steht eine Holzskulpturengruppe auf einem Sockel, Johannes mit Jesuskind. Vorne im Bild alte Orgelpfeifen, dahinter die Kreuzgratgewölbe der Kirche.
Unter der Westempore: Noch nicht eingebaute Orgelpfeifen stehen auf dem Boden vor der Figurengruppe © CF

WDR 3 TONART, 30.3.2023, 15 Uhr

LINK ZUM PODCAST

Link zur Scala-Sendung: mein Stück beginnt bei Minute 7’55

Draufsicht - Blick von der Orgelempore auf den mit Filz abgedeckten Boden. Eine Kiste mit schmalen Orgelpfeifen steht auf einer Hebebühne, die der Orgelbauer Damian Zeh steuert
Angehoben: Orgelbauer Damian Zeh fährt die Orgelpfeifen auf die Westempore © CF

4700 Pfeifen ausbauen, über Leitern und Treppen durchs Kirchenschiff tragen, nach Freiburg in die Werkstatt transportieren, reinigen, ausbessern, intonieren, nach Dülken zurückbringen, über Leitern in den Rumpf hieven, einbauen, nochmal intonieren… Das dauert. Ein Jahr brauchte das Team vom Freiburger Orgelbaufürs „Upcycling“.

Allein das Stimmen der Hohlkörper bedürfe im Fall der Dülkener Orgel rund 1600 Arbeitsstimmen, sagt Tilmann Späth, Orgelbaumeister und Inhaber der Freiburger Orgelmanufaktur. „Das entspricht etwa 20 Minuten Arbeitszeit pro Orgelpfeife“. 

Draufsicht auf einen Schacht, der in rund 6 Meter die Tiefe führt. Rechts im Bild: Orgelpfeifen. Links im Bild: Holzbohnen, an denen Leitern lehnen
Aufgestiegen: Hinter dem Orgelprospekt tun sich metertiefe Abgründe auf © CF

Um 1900 steht auf der Empore der St. Cornelius-Kirche in Dülken die erste Orgel. In den 1960er Jahren wird eine neue Orgel gebaut, eine der größten im Bistum Aachen. Doch der Klang ist scharf und dünn. 

Über einen 60 Meter langen Saal, der in drei Schiffe unterteilt ist, erstreckt sich ein Kreuzgratrippen-Gewölbe. Die Kirchenbänke stehen in zwei Reihen Richtung Osten. Der Blick der Betrachterin richtet sich gen Westen zur Orgelempore.
Blick in den Westen: Auf der Empore der neogotischen Kirche steht die frisch renovierte Orgel © CF

Aus dem neobarocken Instrument wird eine Universalorgel“. Rund 500 000 Euro kostet die Renovierung. Keine kleine Investition angesichts schwindender Mitglieder. 

Auf dem Spieltisch der Orgel aus hellem Holz lehnt Giovanni Solinas. Er trägt schwarze Brille, einen gestutzten Vollbart und einen dunkeln Mantel
Giovanni Solinas stammt aus Alghero (Sardinien). Seit 2015 ist er Kantor im niederrheinischen Dülken © CF

Für den Kirchenmusiker Giovanni Solinas aber ist die Orgel mehr als ein teures Kirchenmöbel. Im Gegenteil: sie ist das Scharnier zwischen Kirche und Gemeinde, Konzert und Publikum. Der Kantor erstellte das Konzept und war bei der rund dreijährigen Planung dabei. 

Tristan Lebholz und Giovanni Solinas beuge sich über ein tablet, das Tristan in der linken Hand hält. Mit dem rechten Finger berührt er den Bildschirm
Elektronische Ansteuerung: Tristan Lebherz (li) demonstriert das Spiel per tablet. © CF

Die Technik wurde auf den aktuellen Stand gebracht, das Windsystem überarbeitet, die Orgel gereinigt und Schimmel-behandelt. 

Martin Sonnen sitzt frontal zur Betrachterin am Spieltisch und schaut durch eine Plexiglasscheibe Richtung Kamera. Hinter ihm ist in weiter ferne ein schmales, buntes Glasfenster zu sehen.
Der Hinhörer: Martin Sonnen ist Orgelsachverständiger im Bistum Aachen © CF

Neu ist der Spieltisch, die Steuerzentrale der Orgel aus Eiche, Ebenholz und Knochen. Martin Sonnen, Regionalkantor und Orgelsachverständiger, hört genau hin. Wie ist das Zusammenspiel der Pfeifen? Wie ist der Klang der Kleinsten und der Größten? Wie lassen sich die Register per Wippschalter ansteuern? Er sei zufrieden, sagt Martin Sonnen. Vorher habe sie dünn und scharf geklungen. Jetzt klinge sie viel harmonischer. 

Die Draufsicht zeigt vier reihen mit schwarz weißen Tasten. Die Reihe am unteren Bildschirmrand sind Tasten aus Holz
Vier Manuale + Register + Pedal = Klaviatur © CF

Die beiden Orgelbauer Tristan Lebherz und Damian Zeh setzen die letzten Pfeifen ein, intonieren so, dass Alles stimmt. Kaum wird der Schalter umgelegt, bekommen die Pfeifen ganz schnell Wind und wir hören den Ton. 

Giovanni Solinas sitzt im Profil zur Betrachterin. Sein Blick ist konzentriert auf das Notenblatt gerichtet. seine Hände liegen auf der dritten der vier Tastenreihen.
Giovanni Solinas spielt die Bach Toccata und Fuge in d-Moll (BWV 565) © CF

Zu Ehren der renovierten Orgel organisiert der Kantor Giovanni Solinas ein erstes Internationales Orgelfestival. Musiker aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz und dem Vatikan geben jeweils ein Konzert, jeweils am dritten Sonntag im Monat. 

Ich sprach mit Martin Sonnen und Giovanni Solinas; und ich kletterte in den Bau der Orgel, stand mit Damian Zeh und Tristan Lebherz zwischen Schwell- und Hauptwerk der Orgel (s. Bild „aufgestiegen“). 

Zwei Frauen laufen auf einer kleinen Straße, an parkenden Autos und Wohnhäusern vorbei Richtung Innenstadt. Am Horizont, unter einem bewegten Himmel, ist die Kirchturmspitze von St. Cornelius zu sehen.
Am Horizont: Die Spitze des Westturms ist mit Schieferschindeln gedeckt © CF

Katholische Pfarrkirche St. Cornelius 

Alter Markt 1

41751 Viersen-Dülken

Orgeleinweihung

2.4. 2023: Mit Giovanni Solinas

Erstes Internationales Orgelfestival

2.4. bis 5.11.2023

Jeden dritten Sonntag im Monat

Abenteuer im Raumschiff Orgel

Vierte Edition

Orgelprojekt für Kinder und Jugendliche

Von und mit Giovanni Solinas

2. und 4. Juni 2023

Giovanni Solinas schaut an der Betrachterin vorbei. Er steht in einer Kapelle, vor einer Marienstatue, die auf einer Art Altar steht.
In der Marienkapelle der katholischen Pfarrkirche St. Cornelius: Giovanni Solinas © CF

ADRESSE

Verlag Motette-Psallite

Giovanni Solinas (Musikalischer Direktor)

Alter Markt 12, 41751 Viersen

LINK

Freiburger Orgelbau

Renovierung der Orgel in Dülken

Frontal im Bild ist das Orgelprospekt zu sehen. Aufstrebende Pfeifen, die bis unters Kreuzgewölbe führen.
Orgelbau und Orgelspiel gehören seit 2017 zum immateriellen UNESCO Weltkulturerbe © CF

Der KlangSammler

Wie Alex Hardt Soundwelten bewahrt

WDR 3, TonArt, 24.3.2023, 14 Uhr bis 17.45 Uhr

Link zum Podcast

Die Collage zeigt Alex Hardt in verschiedenen Aktionen. Er steht vor der Steinkohlezeche Ibbenbüren, hält das Mikro in der Hand. er steht an der Startbahn von Düsenjägern, vor einer Mauer aus Feldsteinen, vor Seecontainern, in einem Keller, auf einem regennassen Asphaltplatz
Alex Hardt in Action: Steinkohlezeche Ibbenbüren, Startbahn von Eurofightern, Feuerwerksfirmen Nico und Weco, Hafen Duisburg Ruhrort, Gierseilfähle Bolte, verlassenes Kloster Boppard © Collage CF

Alex Hardt ist Hüter einer Bank, einer Sounddatenbank. Reich an Klängen, Geräuschen, Tönen. Gesammelt im urbanen Raum, unter Tage, auf Brücken-Pylonen und einsamen Feldern. Handverlesen. 

Gemeinsam besuchen wir Tropfsteinhöhlen, verlassene Klöster, Villen im Verfall. Alex nimmt das Brizzeln eines Streichholzes auf, den ohrenbetäubenden Lärm eines Düsenjets beim Starten, das Gurgeln eines… Geistes in einem Lost Place. 

Die Collage zeigt Alex Hardt auf einer Gierseilfähre, im Studio zu Hause, an einem Stapel von Containern, im WDR Studio mit dem Rücken zur Betrachterin, auf einem Asphaltplatz in einer Feinstaubwolke von abgebrannten Feuerwerkskörpern
Alex Hardt still in action © CF

Sounds sammeln und bewahren: Damit nachfolgende Generationen eine Ahnung davon kriegen, wie Förderkörbe ins Bergwerk einfahren und Lokomotiven Dampf ablassen. Alexander Hardt ist so ein Soundsammler. 

Sie haben eben Charakter, sagt der Sounddesigner Alexander Hardt. Die Geräte sind vergangen, doch die Geräusche sind da, abrufbar als Apps. 

Die Collage zeigt Alex Hardt auf einer Weise aus dem Bild rennend, auf einem Pylon vor der Kulisse des Rheins, in einem mit Kunstlicht beleuchteten Tunnel, auf einer Wiese bengalisches Feuer zündend
Auf einer einsamen Wiese * in einer Tropfsteinhöhle * an einer Autobahnbrücke * Auf einem Pylon © CF

Mit Alex Hardt cruise ich durch seinen immateriellen Schatz, eine Library voller Töne und Geräusche, ein schillerndes Klangarsenal der Vergangenheit. Und wir erinnern uns an gemeinsame Ausflüge in Brückenkästen, Tropfsteinhöhlen, Bergwerken, Lost Places, Feuerwerksmanufakturen, auf Gierseilfähren und Hafengeländen …

Alex Hardt

Tone Glow Libraries

Alex Hardt sitzt auf einem Tisch. Links neben sich Gitarrenhals und Steg einer e-Gitarre. Rechts stützt er seine Hand auf einem Modular-System. Er hält die Augen geschlossen und trägt eins schwarzes T-Shirt
Soundmagier Alex Hardt © CF

Bodi

Frühes Mittelalter im LVR-LandesMuseum Bonn

TITELBILD

Goldener Fingerring aus Grab 39, Bislich, Merowingerzeit. Foto: L. Kornblum © LVR-LandesMuseum Bonn

WDR 3, Mosaik, 23.3.2023, 8 Uhr

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Das Bild zeigt eine Goldschmiedearbeit. ein kreisrundes Medaillon mit lamellenartigen Ornamenten. Acht treppenartige Anhänger liegen separat auf der weißen Fläche. Zwei Tropfen haben rote Edelsteine angefasst. bei den anderen Steinen ist nur das Gold zu sehen, die Edelsteine fehlen.
Goldene Fibel und Münzanhänger, Grab 21, Bislich, Merowingerzeit. Foto: J. Vogel © LVR-LandesMuseum Bonn

Das Leben des Bodi. Eine Forschungsreise ins frühe Mittelalter. Unter diesem Titel präsentiert das LVR-LandesMuseum Bonn Grabfunde vom Niederrhein und anderen europäischen Orten. Splitter, Edelmetalle, Eisenreste erzählen von fränkischen Menschen im 6. Jahrhundert diesseits und jenseits des Rheins. 

Vier silberne Beschläge liegen auf der weißen Fläche. Sie sin sehr fein ziseliert. Alle vier Beschläge sind mit Edelsteinen verziert.
Beschläge des Spathagurts (Spath – zweischneidiges Schwert) von BODI, Grab 39, Bislich, Merowingerzeit. Foto: J. Vogel © LVR-LandesMuseum Bonn

Im Zentrum steht Grab 39. Vor 1500 Jahren wurde in der Kammer rund anderthalb Meter unter der Erde ein Mann bestattet namens Bodi. Der Name „Bodi“ ist in seinen Siegelring graviert (siehe Titelbild).

Wer war Bodi? Sprach er neben Westgermanisch auch Latein und Romanisch? Kannte er Konstantinopel, das Zentrum Ostroms? War er Christ wie Chlodwig, der Begründer des Fränkischen Reiches?

Zu sehen sind spitze Dächer, Baumkronen und die Kirchturmspitze nebst Langhaus der St. Johanneskirche. Vom Kirchturm weht eine gelb-blaue Fahne. Der Himmel wirkt dramatisch durch seine hellen und dunklen Haufenwolken
Blick vom Deich auf die St. Johannes Kirche in Bislich © CF

Vor 50 Jahren wurde sein Grab entdeckt, in Bislich nahe eines Rheinaltarms. Neben knapp 900 weiteren Gräbern. Und jetzt bekommen wir die Funde zu sehen. Gesäubert, restauriert, rekonstruiert.

Der Lamellenpanzer zum Beispiel ist eine erlesene Schmiedearbeit. Der Ursprung liegt vermutlich in Zentralasien. Hinter den hunderten Rostklumpen im Grab 39 verbirgt sich eine äußerst rare und kostbare Beigabe. Vielleicht hat sie ihr Träger in einer Schlacht erbeutet.

Ein junger Mann steht mit dem Gesicht zur Betrachterin. Er trägt das Kleidungsstück. Der Panzer reicht bis zu den Knien und besteht aus Eisenlamellen, die in helles Leder gefasst sind.
Rekonstruktion von BODIs Panzer aus Grab 39, Bislich. Herstellung: Monika & Alexander Zimmermann, Foto: J. Vogel © LVR-LandesMuseum Bonn.

Alexander Zimmermann schmiedete die 1200 Lamellen und verwendete dabei Techniken, Eisenzusammensetzungen wie vor 1500 Jahren. Seine Frau Monika Zimmermann übernahm die Lederarbeiten.

Ein Krieger steht in einer stilisierten Landschaft. Er trägt einen goldenen Helm, einen blauen Umhang, den Lamellenpanzer. Er trägt einen Waffengürtel, an dem ein Schwert hängt. In der einen Hand hält er Schild und Speer, von der anderen die Zügel. Das weiße Pferd steht neben ihm.
Digitale Rekonstruktion von BODI. © Benoît Clarys

Bodi ist die Hauptfigur der Ausstellung im Bonner Landesmuseum. Ein stattlicher Mann mit Lamellenpanzer, das Schwert im edelsteinbesetzten Ledergurt, den Siegelring am rechten Finger, Pferd am Zaumzeug. Reine Spekulation.

Eine Auenlandschaft unter einem bewölkten Himmel: Wiesen, Wasser, hohes Gras und kleine dichte Bäume. Am Horizont ragen zwei Kirchtürme heraus. Links im Bild bewaldete Höhenzüge am Horizont
Bislich. Blick über die Rheinauen gen Xanten © CF

Aber es könnte sein, dass er am Ostufer des Rheins steht und auf die verlassene Stadt am gegenüberliegenden Ufer schaut, auf die verfallenen Häuser der Colonia Ulpia Traiana, einer römischen Gründung im äußersten Norden der einstigen Supermacht.

Im vierten Jahrhundert hatten Bodis Landsleute die Stadt, die heute Xanten heißt, eingenommen und einige Jahrzehnte später wieder verlassen.

Ich sprach mit Elke Nieveler, einer der Kurator:innen der Ausstellung. Sie ist Mitherausgeberin des Katalogs, der bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt veröffentlicht wurde. Der ist auf jeden Fall lesenswert. Mit Fotos, Zeichnungen und Karten. 

AUSSTELLUNG

Das Leben des Bodi. Eine Forschungsreise ins frühe Mittelalter

LVR-LandesMuseum Bonn: Colmantstr. 14–16, 53115 Bonn 

KATALOG

Elke Nieveler, Michael Schmauder, Thorsten Valk (HG.): Das Leben des Bodi. Eine Forschungsreise ins frühe Mittelalter. Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (WBG). Darmstadt 2023

Das Buchcover zeigt die Schmuckplatte eines Goldrings. Links im Bild ist der name eingraviert: "Bodi". Zentral ist das Antlitz eines menschen zu sehen.
Katalog © Rechte: wbg Theiss. Darmstadt 2023

Ilse Losa

Worte…frei wie Vögel 

Berühmt in Portugal & noch zu entdecken in Deutschland

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Straßenkreuzung (T-Kreuzung) Ein kleiner Asphaltweg führt zum rechten Bildschirmrand. Die Straßen führen durch Wiesen und Felder. An der kleinen Straße steht ein Straßenschild "Ilse-Losa-Weg"
Ilse-Losa-Weg in Buer bei Osnabrück. © CF

Ilse Losa. Schriftstellerin

* 20. März 1913 in Buer bei Melle † 6. Januar 2006 in Porto (Portugal)

Das schwarz Weiß Fotozeigt Ilse Losa in der Halbtotale. Ilse Losa (76) sitzt im Halbprofil auf einem Gartenstuhl, den Blick in Richtung Kamera gewandt. Der Stuhl steht vor einem Balkongerüst aus Holzstreben. Dahinter sind Einfamilienhäuser und Bäume zu sehen.
Ilse Losa in Buer 1986 © Stadt Melle/ Foto: Doris Horst

Ilse Losa ist Jüdin, Exilantin, Schriftstellerin. Seit 1934 bis zu ihrem Tod im Jahr 2006 lebt sie in der Hafenstadt Porto. Ihre Romane und Kinderbücher verfasst sie auf Portugiesisch. Mit Erfolg. In ihrem Wahlland gehört Ilse Losas Werk zum Schulkanon. In ihrem Herkunftsland dauert es vier Jahrzehnte, bis ihr Erstling O mundo em que vivi (Die Welt in der ich lebte) in einer deutschen Übersetzung vorliegt. 

Im vorderen teil des Bildes, untere Hälfte umläufen Garaganreihen einen Hof. In der oberen Hälfte ist ein Haus mit einem mit Ziegeln gedecktem Dach zu sehen.
Melle-Buer: An Stelle der Garagen stand das Haus der Großeltern Lieblich. Hier verbrachte Ilse Lieblich die erste sechs Jahre © CF

In Melle-Buer bei Osnabrück wird Ilse Lieblich geboren, am 20. März 1913. Sie wächst in einem assimilierten jüdischen Elternhaus auf. Der Vater stirbt früh. Die Tochter bricht die Schule ab und beginnt eine Ausbildung in einem Krankenhaus in Hannover.

In einer roten Ziegelsteinmauer ist eine Haustür aus Holz mit Oberlicht eingelassen.
Melle zwischen Bielefeld und Osnabrück: Original-Eingangstür zum umgebauten Elternhaus © CF

Als die Nazis an die Macht kommen. In einem Brief an eine Freundin nennt Ilse Losa Kanzler Hitler einen Verbrecher. Der Brief wird abgefangen. Nach einem stundenlangen Verhör besorgt sich die 20Jährige eine Schiffspassage und flieht an den Rand Europas, ins faschistische Portugal.

In einem Café in Porto lernt die junge Exilantin den angehenden Architekten Arménio Losa kennen, 1934. Mit der Heirat ein Jahr später erhielt sie nicht nur seinen Namen, sondern auch die portugiesische Staatsbürgerschaft.

1949 erscheint der erste Roman, in dem ihre Kindheitserinnerungen einfließen und der mit der Flucht endet. Weitere Romane und 21 Kinderbücher folgen.

Ihre Texte sezieren den Alltag in Portugal, handeln von Menschen auf der Flucht, von starken Mädchen und Umweltthemen. Für ihr Werk erhält Ilse Losa 1991 das Bundesverdienstkreuz.

Am 6 Januar 2006 stirbt Ilse Losa in Porto. In Portugal ist ihr eine Briefmarke gewidmet, in Buer ein 150 Meter langer Asphalt-Weg zum jüdischen Friedhof.

Grabsteine mit hebräischen Inschriften stehen auf der Wiese vor hohen Bäumen.
Melle-Buer: 46 Gräber überstanden die Schändung in der Zeit des Nationalsozialismus. Mehr als 50 Steine wurden für das Pflastern von Hofräumen benutzt. © CF

In den 1990er Jahren erscheinen die ersten Übersetzungen. Höchste Zeit, ihr Œuvre in Deutschland bekannter zu machen. „Wir träumen, als wären wir aus dem Licht gekommen.“

In Melle graben Irene Below, Barbara Daiber und Angela Kemper nach und nach Mosaiksteine aus und vervollständigen das Bild der Schriftstellerin. Ein Fundstück ist die Passagierliste, die zeigt, wann und mit welchem Dampfer Ilse Lieblich nach Portugal floh. Sie sichten Briefe, kümmern sich um Übersetzungen und suchen Verlage. 

Die drei Forscherinnen gründeten den Initiativkreis frauenOrt Ilse Losa * Melle. Geplant ist ein literarisch-biographischer Weg durch Melle und Buer.

Ehemalige Synagoge in Buer: Als zu wenige zum Beten kamen, wurde das Gebetshaus aufgegeben. Danach zog ein Viehhändler in das Gebetshaus. Heute ist es Geschäft und Wohnung. © CF

Audiostationen stehen an verschiedenen Orten in Melle und Buer, die in Ilse Losas Leben eine Rolle spielten: die Synagoge und das Haus der Großeltern in Buer, das Elternhaus und die Grundschule im benachbarten Melle. Die Ort können erwandert oder erradelt werden. Am jeweiligen Ziel gibt es kleine Preziosen aufs Ohr. So der Plan, den die Initiative im März 2024 umsetzen will. Denn im März 1934 floh Ilse Losa aus Deutschland.

Ein Backsteinhaus steht etwas von er Straße zurückgesetzt. Vor dem Bau wachsen zwei Bäume. Im Giebel ist eine Turmuhr. Auf der Straße steht ein Auto.
Melle: Ilse Losa besuchte die Grundschule in dem Backsteinhaus (1875/76). Ist immer noch eine Schule. © CF

Ich hatte das Glück, die drei Forscherinnen zu treffen. Wir besuchten Ilse Lieblichs Geburtsort Buer und Melle, wo sie zur Schule ging. Wir saßen im Kulturzentrum Wilde Rose, einem verwunschenem Kreativanwesen im Wald, betrachteten Fotos, lasen in Büchern, aßen Köstlichkeiten und tranken Tee. 

Die Grabsteine auf dem Jüdischen Friedhof sind verwittert. Nur ein Stein ist jüngeren Datums. Auf dem Stein steht "Julius Lieblich".
Jüdischer Friedhof in Buer: Julius Lieblich, der Lieblingsonkel von Ilse Losa, überlebte KZ Buchenwald. Er wurde als Letzter hier bestattet. © CF

Gemeinsam mit meiner Frau besuchte ich den kleinen jüdischen Friedhof in Buer, an einem sanften Südosthang am Ende des Ilse-Losa-Weges. 

Katja Ruppenthal steht an der Studiotür im WDR. Vor einem runden Fenster. Neben der Tür an der Wand hängt ein Schild, auf dem mit roten Lettern steht "Ruhe". Katja Ruppenthal trägt ein weißes Hemd und hält die Arme verschränkt vor dem Körper.
Katja Ruppenthal (Sprecherin und Moderatorin) im WDR Funkhaus in Köln © WDR/ Sibylle Anneck

Katja Ruppenthal kleidet die geschriebenen Preziosen kongenial in Stimme.

Isabel Remer blickt frontal in die Kamera. Sie steht am linken Bildrand. Ihr Gesicht ist angeschnitten. Die zwei Drittel zum rechten Bildschirmrand hin zeigen eine Landschaft in Draufsicht. Zu sehen ist eine riesiger See, eingefasst von bewaldeten Hügeln.
Isabel Remer: Auf den Azoren (Portugal) © Jonas Grutzpalk

Isabel Remer übersetzte das gerade erschienene Bilderbuch Beatriz und die Platane. Für das Portrait spricht sie einige der Texte auf Portugiesisch, also der Sprache, in der Ilse Losa fast alle ihre Texte verfasste. 

LITERATUR

VON ILSE LOSA

BILDERBUCH

Beatriz e o Plátano (1978)/ Beatriz und die Platane. (Portugiesisch-Deutsch. Übersetzung: Isabel Remer. Illustrationen: Lisa Couwenbergh) www.oxalaeditora.com. Lünen 2022

Zwischen Ziegelsteinmauer und Hausmauer aus Feldsteinen und weißem Putz bilden die Begrenzung des kleinen Suttbaches.
Melle-Buer: Der Suttbach im Dorf ihrer Großeltern © CF

ROMANE

Die Welt in der ich lebte/ O mundo em que vivi (1949) (Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann und Ilse Losa.) Beck & Glückler Verlag. Freiburg 1990

Unter fremden Himmeln/ Sob céus estranhos (1962) (Ü: Ilse Losa) Beck & Glückler Verlag. Freiburg 1991

ERZÄHLUNGEN IN ANTHOLOGIEN

Ich liebe diese Felder. (Übersetzung: Elfriede Engelmayer S. 101-103. IN: Tagträume und Erzählungen der Nacht/ Caminhos sem Destino (1991) Beck & Glückler Verlag. Freiburg 1992

Weiße Ostern (Übersetzung: Curt Meyer-Clason. S. 192-195. IN: Losa, Ilse und Gonçalves, Egito (Hg.): Erkundungen. 30 portugiesische Erzähler) Verlag Volk und Welt. Berlin 1973

Unter einem weiten, blauen Himmel mit weißen Wolken ist eine flache Landschaft zu sehen. Am vorderen Bildschirmrand Wiese, dahinter Bäume, am Horizont ein hoher, schmaler Kirchturm.
Blick gen Osten nach Buer: Vom Jüdischen Friedhof aus ist der Turm der neoromanischen St. Martini-Kirche zu sehen © CF

ÜBER ILSE LOSA

Holzschuh, Julia: Selbstübersetzung bei Ilse Losa. Diplomarbeit. Universität Wien. 2012.

Schoppmann, Claudia (Hg.): Im Fluchtgepäck die Sprache. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im Exil. Orlanda Frauenverlag. Berlin 1991. (Ilse Losa: 202-237)

Wall, Renate: Verbrannt, verboten, vergessen. Kleines Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1933-1945. Pahl-Rugenstein Verlag Köln 1989. (Ilse Losa – S. 124-125)

ein älteres Buch liegt neben anderen Büchern auf dem Tisch mit dem orange roten Tischläufer. Auf dem Cover ist zu lesen "O Mund em Quelle vivi". Im Hintergrund sind die drei Forscherinnen zu sehen, verschwommen
In der Wilden Rose: Die Zeichnung auf dem Buchcover stammt von Gretchen Wohlwill (Malerin, Mitglied der Hamburger Sezession). Von den Nationalsozialisten als Jüdin verfolgt emigriert die Freundin von Ilse Losa nach Portugal und kehrt 1952 nach Hamburg zurück. © CF

ORTE

KULTURZENTRUM WILDE ROSE

Borgholzhausener Str. 75. 49324 Melle

Das Tor des jüdischen Friedhofes ist frontal im Bild. das schmiedeeiserne Tor zwischen den Backsteinsäulen ist geschlossen. Es zeigt eine stilisierte Menorah und Efeublätter aus Metall.
Das neue Tor: eine Initiative des Heimat- und Verschönerungsvereins Buer © CF

JÜDISCHER FRIEDHOF UND ILSE-LOSA-WEG

49328 Buer (Am Sunderbrook)

Stadtbibliothek Melle

Weststr. 2

IM BESTAND

Bücher von und über Ilse Losa

Beatrize o Plátano / Beatriz und die Platane

Die Welt in der ich lebte

Die Welt in der ich lebte

Tagträume und Erzählungen der Nacht

Unter fremden Himmeln

Nunes, Adriana: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten             

Meyer, Gabriele Undine: Recall

Auf einem Holztisch liegt ein rot- orange-karierter Tischläufer. Auf der Tischläufer. Auf dem Läufer steht eine Tasse mit Tee, liegen in verschiedenen Schüsseln Süßigkeiten, Walnüsse und Datteln. Dazwischen liegen Bücher.
Auf dem Tisch der Wilden Rose: Debütroman ist ein voller Erfolg. © CF

LINKS

Irene Below (Kunsthistorikerin)

Barbara Daiber (Künstlerin, Pädagogin)

VERANSTALTUNG

Ein Dorf erinnert sich: Wer war Ilse Losa?

https://artig-buer.de

19.3.2023, 15 Uhr

Lesescheune, Melle-Buer, Barkhausener Str. 78

In der Totale ist eine Landschaft zu sehen. Links im Bild eine schmale Straße. Rechts eine Wiese, am Horizont den Friedhof, das heißt, die Hecke und die hohen Bäume. Über der Landschaft liegt der blaue Himmel.
Seit 1820 besteht der Jüdische Friedhof in Buer. Ilse Losa widmet ihm eine Erzählung. © CF