290. Todestag von Christian Thomasius

Gelehrter Rebell

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Blick aus der Gruft Nr. 10: Der Stadtgottesacker in Halle (s. auch Titelbild) ist eine archiotektonische Perle aus der Zeit der Renaissance: 94 Grabbogengewölbe umgeben den Friedhof, verziert mit Reliefs, Rankenornamenten, Inschriften. Die Gruft Nummer 10 ist dem Juristen und Philosophen Christian Thomasius gewdimet.  (Foto: CF)

1728: Todestag des Juristen und Philosophen Christian Thomasius

23.September 2018

WDR 5: 9.45 Uhr/ WDR 3: 17.45 Uhr

Link zum ZeitZeichen über Christian Thomasius

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Im Löwengebäude der Martin Luther-Universität Wittenberg-Halle: Die beiden Thomasiusforscher Matthias Hambrock (Historiker/ li.) und Martin Kühnel (Philosoph) flankieren die Büste des Frühaufklärers Christian Thomasius. Das Bronzeportait schuf der Berliner Bildhauer Fritz Schaper 1894, anlässlich des 200. Jubiläums der Universitätsgründung. Der Sockel, auf dem der Kopf steht, kann nicht hoch genug sein, denn, dass es in Halle eine Universität gibt, verdankt die Stadt dem charismatischen Juristen Christian Thomasius. (Foto: CF)

Christian Thomasius war Rebell und Reformer, ein Frühaufklärer und Querdenker. Entschieden sprach er sich für die Trennung von Kirche und Staat aus. Den Glauben an den Teufel jagte er zum Teufel und entzog damit dem Hexenwahn sein wichtigstes Fundament. In seinen Augen war der Herr der Hölle kein Wesen. Ergo konnten Menschen nicht mit ihm Bunde sein. Ergo gab es keine Hexen. Aberglauben rechtfertigten weder Folter noch Verfolgung.

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Matthias Hambrock und Martin Kühnel sitzen in der Bibliothek des Internationalen Zentrums für die Erforschung der Europäischen Frühaufklärung (IZEA) auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen. Um 1700 legte der Pietist August Hermann Francke mit einem Waisenhaus den Grundstein für die spätere Schulstadt, die als eine der bedeutendsten protestantischen Bildungseinrichtungen Europas galt. Heute befindet sich hier unter anderem das IZEA. (Foto: CF)

Christian Thomasius appellierte an die Freiheit des Denkens, fast 100 Jahre, bevor Immanuel Kant die Definition von der Überwindung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit formulierte.

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In der IZEA-Bibliothek liegen Originalschriften des Gelehrten Christian Thomasius. Schriften gegen den Hexenwahn, Rechtsgutachten, Fallbeschreibungen aus seiner Tätigkeit als praktizierender Anwalt, die Monats-Gespräche. (Rechte: CF)

Geboren in Leipzig am 1. Januar 1655, wuchs er im Schatten des 30jährigen Krieges auf. Der erbitterte Krieg der Konfessionen hatte abertausende Tote hinterlassen und zutiefst gespaltene Fürstentümer.

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Marktplatz in Halle (Saale) mit Blick auf den Roten Turm und die protestantische Marktkirche Unser Lieben Frauen⁄. In dieser Kirche begann die Reformation Halles, hier predigte Martin Luther, hier spielte der junge Georg Friedrich Händel Orgel. (Foto: CF)

Innerhalb der protestantischen Kirche gab es immer wieder heftige Grabenkämpfe zwischen Lutheranern und Reformierten.

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Im Dom zu Halle geht bis heute die Reformierte Gemeinde zu den Gottesdiensten. Auch der Lutheraner Christian Thomasius besuchte die Predigten des reformierten Priesters. Freiheit bedeutete für ihn auch Religionsfrfeiheit. (Foto: CF)

Christian Thomasius, ein bekennender Lutheraner, studierte Philosophie und Jura im Reformierten Frankfurt an der Oder. Als ausgebildeter Anwalt kehrte er ins Lutherische Leipzig zurück. Als Anwalt verdiente er sein Geld, als Hochschulprofessor blieb ihm die Karriere versagt, denn er erteilte der religiösen Vormachtstellung eine Absage. Religion war Privatsache und hatte in der Politik nichts zu suchen.

Christian Thomasius_MLU Foto Markus Scholz
Das Porträt von Christian Thomasius schuf der Künstler Johann Christian Heinrich Sporleder (Öl auf Leinwand) 1754.  Das Original hängt in der Martin Luther-Universität in Halle an der Saale (Foto: Markus Scholz)

Nicht in schwarzem Talar, sondern in bunten Anzügen und mit Kavaliersdegen stand er vor seinen Studenten, heißt es. Er war der erste Gelehrte, der eine Vorlesungsankündigung auf Deutsch veröffentlichte, statt Latein, die Haussprache der Universitäten.

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1690 ließ sich Christian Thomasius in Halle nieder. Damals war Halles berühmtester Sohn, der Komponist Georg Friedrich Händel (s. Statue) fünf Jahre alt. Als er 17 Jahre alt war, besuchte Händel die Juristische Fakultät, vielleicht sogar die Vorlesungen bei Christian Thomasius. Zeugnisse gibt es nicht. (Foto: CF)

In Leipzig veröffentlichte Christian Thomasius die Monatsgespräche, ein satirisches Journal auf Deutsch, Schertz- und Ernsthaffte/ vernünfftige und einfältige Gedancken/ über allerhand Lustige und Nützliche Bücher. Einige Gelehrte erkannten sich wieder und verklagten den Autoren. Christian Thomasius erhielt Vorlesungs- und Publikationsverbot. Um einer Verhaftung zu entgehen, floh er nach Halle, das dem Brandenburgischen Kurfürsten unterstand.

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Das Ärztehaus Mitte, ein Haus mit einer wechselvollen Geschichte: 1532 wurde der Renaissancebau errichtet. (Foto: CF)

Der Bau war Wohnhaus und Gasthof. Matthias Hambrock und Martin Kühnel fanden heraus, dass Christian Thomasius in diesem Gebäude zur Miete lebte, bevor sich der Jurist ein eigenes Haus kaufte. Im 19. Jahrhundert gab es hier Konzertveranstaltungen und Ausstellungen. Im Ersten Weltkrieg diente das Haus als Lazarett, bevor es zur Poliklinik umgebaut wurde. Zu DDR-Zeiten wurden politisch anders denkende Frauen grausam misshandelt. Jetzt sollen hier Eigentumswohnungen entstehen.

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Blick durch einen Spalt der verrammelten Fenster (Foto: CF)
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An der Stelle des Kaufhauses (re.) stand das Haus des Juristen Christian Thomasius und seiner Familie. Im Haushalt lebten auch Studenten. Es gab eine Bibliothek mit rund 4000 Bänden und einen Hörsal. (Foto: CF)

In Halle eröffnete Christian Thomasius eine Ein-Mann-Universität, hielt Vorlesungen in der Ratswaage auf dem Marktplatz. Unermüdlich warb er um die Eröffnung einer Universität in Halle. 1694 war es endlich soweit. Im nicht mehr existenten Waagegebäude wurde die Friedrichs-Universität gegründet, benannt nach dem Landesvater Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg.

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Modell der Ratswaage, die bis 1945 an der Ostseite des Marktplatzes in Halle stand. Eine Bombe zerstörte das Gebäude.  (Foto: CF)

Am 23. September 1728 starb Christian Thomasius in Halle. Das ZeitZeichen erinnert an einen bis heute kontrovers diskutierten Pionier der Aufklärung.

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Grabbogen Nummer 10: Auf dem Medaillon ist Christian Thomasius zu sehen. (Foto: CF)

Zu empfehlen ist die kritische Briefedition, die Frank Grunert, Matthias Hambrock und Martin Kühnel herausgeben. Die Korrespondenz gibt einen Einblick in die Sprache und das Denken des ungewöhnlichen Barockgelehrten Christian Thomasius.

Christian Thomasius: Briefwechsel. Historisch-kritische Edition, Bd. 1: 1679–1692. (HG) Frank Grunert, Matthias Hambrock und Martin Kühnel unter Mitarb. von Andrea Thiele. Berlin/Boston 2017

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Ein Angler sitzt an einem Nebenarm der Saale in Halle: Aus vier Brunnen wurde die Sole gewonnen, mit der die Stadt ihren Reichtum begründete. In Fachwerkhäusern siedeten die Halloren das berühmte Salz. Handelsschiffe trugen das Siedesalz auf dem Wasserweg über die Stadtgrenzen hinaus. (Foto: CF)

Bibliothek des IZEA auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen

0611 Halle an der Saale

Franckeplatz 1, Haus 54

Interdisziplinäres Zentrum für die Erforschung der Europäischen Frühaufklärung

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Christian Thomasius-Büste im Löwengebäude in der Universität in Halle an der Saale (Foto: CF)

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