Kinder haben Recht

45 Jahre Internationales Jahr des Kindes

WDR 5 ZeitZeichen vom 1.1.2024

1.Januar 1979: Das Internationale Jahr des Kindes beginnt

WDR 5: 9.45 Uhr/ WDR 3: 17.45 Uhr

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© CF

Die Internationalen Jahre sind ein Klassiker der Vereinten Nationen. Vor allem in den 1960er und 70er Jahren jagte ein Jahr das andere, bis sich eine, wie es ein Beamter mal sagte, „Jahre-Müdigkeit“ einstellte. Nur noch besonders wichtigen Themen sollten die zwölf Monate gewidmet werden. Dieser Vorschlag trifft den Nerv.  Im Dezember 1976 beschließt die UNO-Generalversammlung einstimmig das Internationale Jahr des Kindes. 

Art 23 Du hast das Recht auf besondere Förderung © CF

1979 ist ein symbolträchtiges Jahr. Es ist genau 20 Jahre her, dass die Vereinten Nationen die Erklärung der Rechte des Kindes proklamierten. Jetzt sollen die Kinderrechte in einem Völkerrechtsvertrag verankert werden. Die polnische Regierung bringt einen ersten Entwurf ein. Eine Arbeitsgruppe wird gebildet, die am Ende einen Gesetzestext vorlegen soll. 

Art 19 Du hast das Recht auf Schutz © CF

Parallel treffen sich weltweit Nichtregierungsorganisationen, Vereine, Projekte, unter der Federführung von UNICEF (United Nations International Children’s Emergency Fund), des mit dem Nobelpreis ausgezeichneten UN-Kinderhilfswerks. Es werden Spenden gesammelt, Sonderbriefmarken gedruckt, Studien herausgebracht, Konzepte erarbeitet, Festivals organisiert. Das Jahr geht zuende, die Gesetzesentwurfskommission tagt weiter. 1989 liegt es auf dem Tisch:  das Übereinkommen über die Rechte des Kindes.

Art 2 Alle Kinder haben diese Rechte © CF

Ein Meilenstein in der Geschichte der Kinderrechtsbewegung, der durch das Internationale Jahr so richtig ins Rollen kam. Bis heute unterzeichneten 195 Staaten das Regelwerk. Dennoch ist die Kinderrechtskonvention hierzulande nicht direkt ein Bestseller.

Art 6 Du hast das Recht zu leben © CF

Überhaupt hapert es mit der Umsetzung der Paragraphen. Was die Kinderrechte betrifft, sei 2023 ein düsteres Jahr gewesen, resümiert Christoph Schneider, der Geschäftsführer von UNICEF Deutschland: „Vielleicht wäre es wieder Zeit für ein Internationales Jahr des Kindes.“

Art 31 Du hast das Recht auf Freizeit © CF

In meinem Feature haben auf jeden Fall Kinder das Sagen. Sie äußern ihre Meinung, spielen, lesen einzelne Artikel aus der Konvention über die Rechte des Kindes in kinderfreundlicher Sprache.

Christian Schneider © CF

Im Haus des deutschen Komitees für UNICEF besuche ich den Geschäftsführer Christian Schneider.

LITERATUR

UNICEF Deutschland (Hg.) Konvention über die Rechte des Kindes. Kinderfreundliche Fassung. 20.11.1989

Böhling, Dirk: Die Geschichte von dem kleinen Reiskorn. Wie die SOS-Kinderdörfer in die Welt kamen. Kellner Verlag. Bremen/ Boston 2013

Kerber-Ganse, Waltraud: Die Menschenrechte des Kindes. Die UN-Kinderrechtskonvention und die Pädagogik von Janusz Korczak. Versuch einer Perspektivverschränkung. Verlag Barbara Budrich. Opladen & Farmington Hills 2009

Korczak, Janusz: Das Recht des Kindes auf Achtung. (1828) Heimpel, Elisabeth/ Roos, Hannes (Hg.) (Aus dem Polnischen: Armin Droß) Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen 1970 (Digitalisat: Bayerische Staatsbibliothek)

ADRESSEN (Miniauswahl)

UNICEF Deutschland

Deutsches Komitee für UNICEF e.V. Höninger Weg 104. 50969 Köln

Christian Schneider mit einem Flugzeug, das Kinder aus Müll herstellten © CF

Save the children e.V. 

Gründerin: Eglantyne Jebb (1919)

Seesener Straße 10-13, 10709 Berlin

SOS Kinderdorf e.V.

Renatastraße 77, 80639 München

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League of Nations

1922: Internationale Konferenz des Völkerbundes zum Thema Esperanto

Eine Sprache für Alle

18. April 2022

WDR 5, 9.45 Uhr

WDR 3, 17.45 Uhr

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die klassizistische Fassade vom Palais Wilson in Genf © GenéveTourisme
Tagungsort Palais Wilson, heute UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte © GenéveTourisme Foto: Olivier Miche

Am 18. April 1922 reisen Schul- und Regierungsvertreter:innen aus fast 30 Ländern nach Genf. Der Völkerbund hatte die Internationale Konferenz einberaumt, um über Esperanto zu diskutieren. Esperanto, eine Plansprache, die in den 1920er Jahren in voller Blüte steht. Menschen auf der ganzen Welt besuchen Esperanto-Kurse. Vereine werden gegründet, Tagungen organisiert.

Portrait von Inazō Nitobe in schwarz weiß
Inazō Nitobe © The Eastern Culture association Foto: NN

Ein prominenter Fürsprecher der Bewegung ist der stellvertretende Generalsekretär des Völkerbundes Inazō Nitobe (1862-1933), in Japan als Sohn eines Samurai geboren. Der in Halle an der Saale promovierte Agrarwissenschaftler wird vom Völkerbund nach Prag geschickt, auf den 13. Esperanto-Weltkongress, der im August 1921 stattfand.

Blick auf den Hradschin, den Burgberg von Prag
Prag im Winter © CF

Inazō Nitobe verfasst einen Bericht, in dem er sich positiv über Esperanto äußert, eine, wie es die Sprachwissenschaftlerin Sabine Fiedler ausdrückt, „bewusst geschaffene Sprache“

Portrait von Ludwik Lejzer Zamenhof in Schwarz weiß aus dem Jahre 1908. Am Revers trägt er den fünfzackigen Stern, das Symbol der Esperanto-Bewegung
Ludwik Lejzer Zamenhof 1908 © Gemeinfrei Foto: NN

Auch der Initiator von Esperanto ist bei dem Weltkongress in Prag zu Gast, Ludwik Lejzer Zamenhof (1859-1917). Geboren in Białystok im Osten Polens, das damals unter der Herrschaft des russischen Zarenreiches stand, konstruiert der polnisch jüdische Arzt die internacia lingvo, die internationale Sprache. Bekannt wird sie unter dem Pseudonym, mit dem Zamenhof seine Schriften unterzeichnet: Esperanto – der Hoffende. Zamenhof verleiht der Plansprache eine klare Struktur. Lateinische Buchstaben, wenige Grundregeln, keine Ausnahmen. Die Wortstämme sind verschiedenen europäischen Sprachen entlehnt.

Teilnehmer:innen des ersten Esperanto-Weltkongresses vor dem Kongressgebäude in Boulogne sur Mer am 6.8.1905.
Boulogne sur Mer: Ludwik Zamenhof (erste Reihe, 2. v. re.) vor dem Kongressgebäude am 6. August 1905 © Gemeinfrei Foto: Henri Caudevelle

Auf dem ersten Esperanto-Weltkongress im französischen Boulogne-sur-Mer stellt Ludwik Zamenhof sein Lehrbuch vor, das Fundamento de Esperanto. In den 1920er Jahren sprechen weltweit um die eine Million Menschen Esperanto. Ihr Symbol: ein grüner, fünfzackiger Stern. Ihr Wunsch: eine gemeinsame Weltsprache, nicht anstatt, sondern neben den Muttersprachen. 

Das moderne Genf © GenéveTourisme Foto: Loris von Siebenthal

Im Januar 1920 nimmt der Völkerbund seine Arbeit auf. Eine neue Berufsgruppe bildet sich aus, internationale Beamt:innen. Laut Völkerbundssatzung dürfen erstmals auch Frauen eine Diplomatenkarriere einschlagen. Für die Globalhistorikerin Madeleine Herren-Oesch repräsentieren die Völkerbundsbeamten einen „neuen Typus Mensch“. In den zeitgenössischen Zeitungsartikeln werden sie als weltoffen und polyglott portraitiert, sagt die Direktorin des Europainstituts in Basel: „In den Texten ist zu lesen, dass sich Völkerbundsbeamte dynamisch geben, im Cabrio zum Völkerbundsgebäude fahren, ab und zu den Genfer Verkehr lahmlegen, Tennis spielen und in der Pause kurz in den Genfer See hüpfen.“ Eine politisch wache Gesellschaft, für die die Sprachenfrage von Bedeutung ist. Im Völkerbund selbst sind die Amtssprachen Französisch und Englisch. Esperanto wird ernsthaft als neutrale Alternative diskutiert. 

Am 18. April 1922 treffen sich Expert:innen und debattieren darüber, Esperanto als reguläres Schulfach einzuführen. Es gibt viele Korrespondenzen, Umfragen, Auswertungen, Berichte.

Auf einem SchwarzWeiß-Foto ist die Internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit zu sehen, während einer Plenarsitzung im Jahr 1924. Ganz rechts im Bild sitzt Inazō Nitobe. Auch Albert Einstein gehört zur Kommission (4.v.li)
Im Palais Wilson: Plenar-Sitzung (1924) der Commission international de coopération intellectuelle (v.li.) Hendrik Lorentz, Émile Borel, George Oprescu, Albert Einstein, NN, Julien Luchaire, NN, Gonzague de Reynold (am Tisch), Jules Destrée, Inazō Nitobe © United Nations Archives at Geneva Foto: NN

Schließlich befasst sich die Commission international de coopération intellectuelle (Interanationale Kommission für geistige Zusammenarbeit/ International Committee on Intellectual Cooperation) mit Esperanto, die allerdings zu keinem Ergebnis kommt. Am Ende zerplatzt der Traum an den mächtigen Ethnosprachen Englisch und Französisch. Esperanto als globale Hilfssprache ist ersteinmal vom Tisch des Völkerbundes. Doch die Sprache ist nicht aus der Welt. Sie übersteht Verfolgung und Verbot. 

Symbol der Esperanto-Bewegung: Grün: Farbe der Hoffnung/ Fünf Zacken des Sterns = die Kontinente

Im nationalsozialistischen Deutschland galt Esperanto als Waffe des Weltjudentums und geheime Sprache der Kommunist:innen. im übrigen wurden die drei Kinder von Ludwik Lejzer Zamenhof Opfer der Shoa. In der stalinistischen Sowjetunion wiederum drohten Esperantist:innen Lagerhaft, weil sie Briefkontakte zum kapitalistischen Westen hielten. Nach dem zweiten Weltkrieg wird die Sprache rehabilitiert. Doch der Kalte Krieg ruft andere Linguae Francae auf den Plan: Englisch im Westen, Russisch im Osten.

Présence Bouvier und Harald Schmitz sprechen Esperanto © CF

Heute sprechen und schreiben rund 100 000 Menschen regelmäßig Esperanto. Vielleicht wagt die Nachfolgeorganisation des Völkerbundes, die UNO, einen neuen Vorstoß. Irgendwann. Denn nach wie vor fehlt der Weltgemeinschaft eine unabhängige Weltsprache.

Portrait der Sprachwissenschaftlerin Sabine Fiedler an der Uni in Leipzig
Sabine Fiedler © Universität Leipzig Foto: Katalin Kováts

Mit Prof. Sabine Fiedler sprach ich über Plansprachen und den Esperanto-Initiator Ludwik Leijzer Zamenhof. Sabine Fiedler ist Professorin für Sprachwissenschaft am Institut für Anglistik der Universität Leipzig und Vorsitzende der Gesellschaft für Interlinguistik.

Portrait der Historikerin Madeleine Herren-Oesch am Europainstitut in Basel
Madeleine Herren-Oesch © Europainstitut Basel

Mit Prof. Madeleine Herren-Oesch sprach ich über den Völkerbund, seinen stellvertretenden Generalsekretär Inazō Nitobe und die Sprachenfrage. Madeleine Herren-Oesch ist Professorin für Neuere Allgemeine Geschichte und Globalgeschichte an der Uni in Basel und Vorsitzende des Europainstituts in Basel

Présence Bouvier und Harald Schmitz © CF

In Pulheim (Nordrhein-Westfalen) besuche ich Harald Schmitz und Présence Bouvier. Er ist Mitte 60, sie Ende 30. Er ist pensionierter Mathe- und Englischlehrer und gibt Esperanto-Kurse. Sie ist Symptothermie-Beraterin – Symptothermie befasst sich mit natürliche Methoden der individuellen Geburtenregelung – und Mutter eines dreijährigen Sohnes. Er kommt aus der Bundesrepublik, sie aus Frankreich. Beide leben in Pulheim, sprechen miteinander auf Esperanto und engagieren sich im Esperanto-Klub in Köln

Présence Bouvier und Harald Schmitz stöbern Comics, Romanen und Fachliteratur auf Esperanto. Auf dem Tisch liegen unter anderem La eta Princo von Antoine de Saint-Exypéry und mascararo anti o la morto – Maskerade. Die Memoiren eines Überlebenskünstlers von Tivadar Soros. Der ungarisch jüdische Rechtsanwalt und Schriftsteller entkam der Shoa. Mit seiner Familie floh er aus Ungarn in die USA. Sein berühmter Sohn George Soros gehört zu den rund 2000 Esperanto-Muttersprachler:innen. © CF